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Mueller, Carin

Mueller, Carin

Titel: Mueller, Carin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: High Heels und Hundekuchen
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doch sie hatte entschieden, zum ersten Treffen mit ihren Eltern nach fünfzehn Jahren lieber alleine zu gehen. Selbst Olga hatte sie nicht mitgenommen, und so hatte sie schließlich pünktlich, aber mit klopfendem Herzen und zitternden Händen vor ihrem Elternhaus gestanden.
    Die nächsten Stunden waren ein Wechselbad der Gefühle – große Freude auf beiden Seiten, dass man sich wiedergefunden hatte, aber auch mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Vorbehalte und alte Verletzungen. Doch immerhin sprachen sie miteinander, und sowohl Katia als auch ihre Eltern waren fest entschlossen, die Verbindung nicht wieder abreißen zu lassen. Zum Abschied drückte ihre Mutter ihr noch eine verschnürte Schachtel in die Hand. »Die ist von deiner Großmutter. Ich weiß nicht, was drin ist, aber sie wollte immer, dass du sie bekommst! Pass auf dich auf, und komm bitte bald wieder.« Sie nahm ihre Tochter noch kurz in den Arm und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, dann schloss sie die Tür.
    Jetzt saß sie alleine im Gästezimmer von Gianluca und seiner Frau Claudia und öffnete die Kiste. Darinnen fand sie ihr altes Poesiealbum, ein paar Postkarten, viele Fotos und Kassetten – all die Sachen, die sie vor zwanzig Jahren um ein Haar verbrannt hätte – und einen Brief von ihrer Großmutter. Den hatte diese laut Datum vor fünf Jahren geschrieben, knapp zwei Jahre vor ihrem Tod:
    Liebe Kathi,
    ich wollte Dir noch so viel sagen, aber langsam habe ich keine Hoffnung mehr, dass wir das in diesem Leben noch schaffen. Mein kleiner Engel, ich hoffe jedenfalls von ganzem Herzen, dass Du glücklich bist und Deine Träume erfüllen konntest! Verzeih mir bitte, dass ich nie den Versuch unternommen habe, Dich wiederzufinden, aber ich habe immer darauf gewartet, dass Du zu mir kommst. Ich war immer auf Deiner Seite und hätte Deine Entscheidungen bestimmt verstanden, wenn Du sie mir nur erklärt hättest. Aber jetzt ist es wohl zu spät. Bitte verstehe das nicht als Vorwurf, ich schreibe nur das, was ich fühle – Privileg des Alters.
    Ich hoffe, Du freust Dich über die Sachen in der Kiste. Sie sollen Dich an Deine Kindheit, an Deine Wurzeln erinnern. Und vielleicht hast Du Dich ja inzwischen auch wieder mit Deiner Freundin Antonella versöhnt. Darüber würde ich mich sehr freuen, denn das Leben ist wirklich zu kurz und zu wertvoll, um im ewigen Groll zu verharren. Das habe ich inzwischen begriffen und auch versucht, es Deinen Eltern klarzumachen. Aber leider sind sie stur und der Meinung, dass es an Dir ist, den ersten Schritt zu tun.
    Doch wenn Du diesen Brief liest, hast Du Dich wohl mit ihnen ausgesöhnt. Das tröstet mich sehr!
    Kathi, eines möchte ich Dir noch mitgeben und hoffe, dass es dafür noch nicht zu spät ist: Mache das Beste aus Deinem Leben, aber lebe genau so, wie Du es willst, und nicht, wie irgendwelche anderen Menschen meinen, dass es richtig wäre!
    Ich habe Dich sehr lieb!
    Deine Omi
    PS: Und jetzt hör mit Weinen auf!
    Das war leider nicht so leicht möglich. Katia konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so hemmungslos geweint hatte. Sicherlich nicht nach Aris’ Tod, und in der Zeit davor war sie viel zu abgestumpft gewesen. Aber jetzt weinte sie, bis sie keine Tränen mehr hatte. Irgendwann war Giovanni aufgetaucht und hatte sie wortlos in den Arm genommen. Lebe dein Leben und lebe es, wie du es willst. War das vielleicht der Schlüssel zum Glück? »Ich werde es versuchen, Omi, ich versprech’s dir!«, murmelte sie an seine Brust gekuschelt und schlief schließlich ein.
    Am nächsten Morgen fuhr sie mit Giovanni zum Ostfriedhof und legte eine Rose auf das Grab ihrer Großmutter. Und danach fühlte sie sich tatsächlich stark genug, das nächste Highlight der Münchenreise anzugehen: Oma Rosis Geburtstag im Kreise ihrer Lieben auf dem Oktoberfest. Ab zwei Uhr nachmittags war eine Box in der »Fischer Vroni«, Rosis langjährigem Lieblingszelt, gebucht. Die Jubilarin hatte schon früher Stellung bezogen, um sicherzugehen, dass alles nach ihren Vorstellungen arrangiert war. Nach und nach trudelten die Gäste ein, die meisten dem Anlass entsprechend in Dirndl und Lederhose gekleidet. Nur Adrian hatte sich geweigert, eine Lederhose zu kaufen – und kam sich jetzt in Jeans und hellblau kariertem Hemd etwas deplatziert vor. Antonella zog mit einem süffisanten Grinsen eine Braue hoch, verkniff sich aber jeden Kommentar, den dafür Rosi übernahm: »Diesmal lass ich dir das durchgehen, Andi, weil

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