Mueller, Carin
Otto gehabt. Mit ein bisschen Glück würden dann ab Anfang Januar ein paar putzige Welpen durch ihre Wohnung tollen. Katia legte ihre Gabel beiseite – sie hatte tatsächlich die Suppe und den kompletten Salat verdrückt – und sah auf die Uhr. Mist, sie musste zurück. Antonella hatte gleich einen Termin mit einer neuen Kundin, und da musste sie die Stellung halten. Denn Christian war seit gestern krank und Jenny im Urlaub. Die Kleine besuchte noch bis Ende nächster Woche irgendeine Cousine in Kapstadt. Die hat ein Leben, dachte Katia, drückte dem Kellner das Geld in die Hand und verließ mit Olga das Café. Südafrika fände sie jetzt auch nett. Frühsommer statt Schmuddel-November. Seufzend lief sie zurück zu Hugo’s Affairs und hoffte, dass ihr eine weitere Szene mit Giovanni erspart bleiben würde.
»Willst du mir sagen, was los ist?« Antonellas Frage klang allerdings eher wie eine Aufforderung. Als Katia nicht gleich antwortete, fuhr sie fort: »Vor knapp zwei Stunden habt ihr gemeinsam das Loft verlassen, um essen zu gehen. Vor einer guten Stunde kam Giovanni alleine wieder zurück. Und seitdem beschallt er das ganze Viertel mit seiner Mördermucke!« Tatsächlich wummerten unten in der Schreinerei nicht nur die Kreissäge, sondern auch die satten Bässe der Stereoanlage.
AC/DC oder Metallica, vermutete Katia. Sie zuckte mit den Schultern und nuschelte irgendwas von männlicher Ignoranz, grundsätzlicher Fehlinterpretation des Status quo und Novemberdepression.
»Hast du etwa Schluss mit ihm gemacht?«
Katia stöhnte gequält auf. »Muss ich dieses Gespräch jetzt tatsächlich auch noch mit dir führen?« Sie schüttelte resigniert den Kopf. »Nein, ich habe nicht Schluss gemacht. Ich habe mir lediglich eine Pause von unserer Affäre erbeten, weil ich Zeit zum Nachdenken brauche.« Sie wappnete sich innerlich schon gegen die schwesterliche Tirade, die bestimmt gleich über sie niedergehen würde, doch Antonella zuckte nur mit den Schultern.
»Aha. Wie auch immer. Gleich kommt jedenfalls diese neue Kundin, da kann ich diesen Lärmpegel nicht gebrauchen. Ich nehme an, du möchtest ihn nicht bitten, seinen Krach abzustellen?«
»Wenn es sich vermeiden ließe …«
»Na schön«, Antonella seufzte und ging hinunter in die Schreinerei. »Bist du bekloppt?«, brüllte sie ihren Bruder an. Der Lärm war unten noch infernalischer.
»Was willst du?«, schrie Giovanni zurück.
»Mach diesen verdammten Krach aus! Ich habe gleich einen wichtigen Termin!!«
»Ich verstehe kein Wort.«
Antonella wurde es zu bunt. Sie schlug mit der flachen Hand auf den roten Sicherheitsschalter und augenblicklich herrschten gespenstische Ruhe und Dunkelheit. Der Schalter hatte die gesamte Stromzufuhr in der Schreinerei unterbrochen.
»Sag mal, spinnst du?«, motzte Giovanni sie an.
»Nein, aber ich muss arbeiten, und das geht nicht bei diesem Höllenlärm. Gleich kommt ›die Kundin des Jahres‹, wie Christian sie nennt. Irgendeine Amerikanerin oder so, die sich hier eine Luxuswohnung einrichten lassen will. Angeblich hat sie ein unbeschränktes Budget dafür, und das wäre mal wieder eine echt nette Abwechslung nach all den Arztpraxen, Anwaltskanzleien und Firmenpartys, die wir in der letzten Zeit fast nur noch machen. Also Ruhe bitte! Kapiert?«
»Ja, klar«, er kratzte sich etwas verlegen am Kopf. »Ich dachte, du wolltest mit mir reden …«
»Worüber denn? Dass Kathi mit dir Schluss gemacht hat?« Er zuckte leicht zusammen. »Willst du etwa darüber reden?«
»Nein.«
»Siehst du, ich auch nicht!« Und damit verschwand sie wieder nach oben, denn auf pubertäre Liebesdramen zwischen Bruder und Freundin hatte sie wirklich nicht die allergeringste Lust.
Oben im Loft wartete bereits Gesa Bergmann-Stanton auf sie, eine schmale, kühle Blondine mit klassisch geschnittenem Grace-Kelly-Gesicht, einem akkuraten Bob und stechenden hellen Augen, die zwischen Blau und Grün changierten. Sie trug einen perfekt sitzenden hellgrauen Hosenanzug und sichtbar teure Schuhe und Schmuck. Auf dem Sofa erspähte Antonella einen anthrazitfarbenen Mantel und eine royalblaue, garantiert echte Hermès-Birkin-Bag. »Schön, Sie kennenzulernen!« Antonella reichte der neuen Kundin die Hand und strahlte sie an. Dabei entging ihr nicht, wie sie von dieser ebenfalls eingehend gemustert wurde. Christian hatte sie heute Morgen tatsächlich von seinem Krankenlager aus angerufen und ihr mit belegter Stimme eingeschärft, dass sie doch
Weitere Kostenlose Bücher