Mueller, Carin
Weihnachtsabend mit meiner Exfrau zu verbringen, auch nicht gerade glücklich gemacht hat. Aber das soll keine Entschuldigung sein! Ich weiß, dass ich mich aufgeführt habe wie ein rückgratloses Weichei, wie ein noch hirnloserer Volldepp als Max und ziemlich sicher auch noch idiotischer als Giovanni.« Adrian, der mit dem Mikro in der Hand langsam auf die Tanzfläche kam, nickte seinem Schwager kurz zu. Die umstehenden Gäste verfolgten fasziniert das Geschehen. Antonella war zunächst völlig perplex gewesen. Jetzt stand sie mit verschränkten Armen und schmalen Lippen da und starrte ihren Mann an, der nun fortfuhr: »Ich liebe dich! Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben, und wenn das vorhin den Anschein erweckt haben mag, dass es anders sein könnte, tut es mir unendlich leid. Antonella, ich werde alles tun, was du willst, wenn du mir nur verzeihst!« Er war vor ihr angekommen und sah ihr in die Augen.
Sie überlegte kurz, dann nahm sie ihm das Mikrofon aus der Hand: »Christian, könntest du bitte wieder Musik machen?« Sie legte das Mikro weg, und als der nächste Song ertönte, sagte sie zu Adrian: »Ich weiß nicht, ob ich das so einfach verzeihen kann. Dir vielleicht schon, deiner Mutter sicherlich nicht. Aber ganz bestimmt will ich das jetzt nicht diskutieren. Im Augenblick will ich nur tanzen.« Als Adrian enttäuscht die Schultern fallen ließ und resigniert die Augen schloss, fasste sie ihn zart ans Kinn und zwang ihn, sie wieder anzusehen. Dann fügte sie hinzu: »Ich will mit dir tanzen. Du bist zwar tatsächlich der ungekrönte Mistkerl des Abends, aber ich liebe dich trotzdem!«
Als Jenny und Tom gegen Mitternacht bei Christians Party auftauchten, war der Gastgeber ausgesprochen erleichtert. »Siehst du, ich wusste doch, dass es ein Happy End für dich gibt!«, sagte er, als er sie für einen Tanz entführen konnte und die ganze Geschichte gehört hatte.
»Denkst du, die anderen sind auch so glücklich wie ich?«
»Du meinst Antonella, Adrian, Katia und Giovanni?«, fragte er und fügte, als sie nickte, hinzu: »Hey, es ist Weihnachten, da ist alles möglich!« Und lächelnd deutete er auf die beiden Paare, die jeweils eng umschlungen miteinander tanzten.
KAPITEL 18
Höhenflüge
K atia schlug die Augen auf und warf einen Blick auf ihren Wecker. Es war kurz nach halb neun an Silvester, und milchiges Morgenlicht fiel durch die Vorhänge in ihr Schlafzimmer. Sie drehte sich um und kuschelte sich wieder an Giovanni, der noch schlief. Zärtlich fuhr sie durch die dunklen Locken, die seine austrainierte, breite Brust noch männlicher erscheinen ließen. Sie hatte das Gefühl, dass aus all ihren Poren pures Glück strömte, denn die letzten Tage waren mit Sicherheit die schönsten ihres ganzen Lebens gewesen. Seit Weihnachten hatten sie fast jede Minute gemeinsam verbracht – die meiste Zeit davon im Bett –, und alles, wirklich alles hatte sich plötzlich so richtig angefühlt. Im Sommer war es noch ganz anders gewesen. Klar hatte sie ihn gerngehabt, und an der rein physischen Komponente war auch nicht das Geringste auszusetzen gewesen. Doch trotzdem konnte oder wollte sie sich damals nicht völlig auf ihn einlassen. Was nicht an ihm gelegen hatte, denn Giovanni hatte sich ja von Anfang an klar zu ihr bekannt. Sie war einfach so verwirrt gewesen, nach allem, was passiert war. Nach ihrer langen, lieblosen Ehe, nach dem überraschenden Tod ihres Mannes, nach dem Scherbenhaufen, der ihre Existenz danach gewesen war. Schritt für Schritt hatte sie wieder ins Leben gefunden, und irgendwann auf diesem Weg war ihr die Erkenntnis gekommen, dass es wirklich um ihr Leben ging und sie die Einzige war, die tatsächlich dafür verantwortlich war. »Mache das Beste aus Deinem Leben!« Wenn sie an die Worte ihrer Großmutter dachte, brach es Katia immer noch fast das Herz. Sie hatte so lange zugelassen, dass andere Menschen ihr Leben bestimmten, dass sie das wirklich Wichtige fast aus den Augen verloren hatte: sich selbst! Und ihre Familie. Und ihre Freunde. Wie gerne hätte sie mit ihrer Oma noch einmal gesprochen. Und ihre Eltern? Gab es mit ihnen eine Zukunft?
Giovanni legte im Schlaf eine Hand auf ihre Brust und seufzte zufrieden. Sie lächelte. Wieso war sie so blind gewesen? Wieso hatte sie dieses Juwel an ihrer Seite nicht früher erkannt? Und wieso hatte sie diesen irrigen Plan verfolgt, sich irgendwann in absehbarer Zeit wieder in die Trophäensammlung eines reichen Idioten einzureihen?
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