Mueller und die Schweinerei
konjugiert sein Polizei- ABC durch. Uns mag es eigenartig vorkommen, dass er diesen Sommertag in einem leeren Schweinestall verbringt, ohne zu wissen, ob ihm ein Ergebnis zufliegen wird.
Manchmal ist es richtig, einfach auszuharren und zu warten. Am besten an einem Ort, an dem es am wahrscheinlichsten ist, dass etwas passiert. Das ist eine wichtige Strategie der Polizeiarbeit. Bei der Polizei nennen wir das kurz »Lokaltermin«. Das bedeutet, dass man zum Beispiel ein Verbrechen dort nachspielt, wo es ziemlich sicher stattgefunden hat. So findet man heraus, ob es plausibel ist. Wenn man den Mutmasslichen dabei einbezieht, krachen vielleicht dessen Nerven zusammen, und man hat ihn überführt. »Lokaltermin« kann auch heissen, dass man in der freien Wildbahn recherchiert, was der Müller natürlich gerne tut und wo er Spezialist ist darin.
Deshalb wird der Müller, kristallisiert sich im Lauf des wachsam verbrachten Tages heraus, auch die Nacht in Heini und Marie Angst-Schwerzmanns Schweinestall verbringen, um zu sehen, ob etwas ins Rollen kommt. Warum die Nacht? Weil in ihr das Verbrechen grassiert, wie die Statistik beweist. Schliesslich gelangte der Riesenrollschinken auch nachts in den Schweinestall. Und, nochmals, warum bleibt der Müller an diesem Ort und darf dabei aus Gründen der geistigen Präsenz nicht einmal ein Buch lesen? Weil manchmal überstürzen sich die Ereignisse schlagartig und die Aktion nimmt unglaubliche Formen an, die man vorher nie für möglich gehalten hätte. Weil manchmal sind das schon kranke Hirne, die delinquieren. Man kann sich kaum vorstellen, warum sie was tun, und der aktuelle Fall hat bereits so bizarre Formen angenommen, dass man mit allem rechnen muss. So was kann man unglaublich schlecht vorherantizipieren, wenn man normal und gesund ist. Natürlich, wir haben unsere Psychologen und Fachberater und Spezialisten, von Imkerei bis zu Hooliganbekämpfung, von Unterwasserspurensicherung bis Psycho-Profiler, da haben wir alles zur Verfügung. Doch im Polizeialltag, können Sie mir glauben, erlebt man immer wieder etwas, was nie da gewesen ist.
Selbstverständlich ist es auch eine Kostenfrage. Hand aufs Herz: Würdest du für einen Schadenfall von insgesamt total neununddreissig Schweinen tot eine zwanzigköpfige Sonderkommission (in der Polizeisprache: »Soko«) abdetachieren? Ich schon, ich mag Schweine, aber bei der Polizei müssen wir, so brutal es tönt, auch ökonomisch rechnen. Da fragst du dich schon, also der Chef muss das, was kommt dabei heraus? Bringt das der Gesellschaft den Nutzen? Sonst wenn du anfangs Jahr schon alle Mannstunden verbrauchst und die Politiker dir das Budget abklemmen, hast du ab Mitte Oktober keinen mehr, der noch einen ausgeglichenen Gleitzeitsaldo hat. Dann darf wegen Überstundensperre ab Mitte Oktober keiner mehr arbeiten, alle machen Zwangsferien, und das Verbrechen tanzt auf dem Paradeplatz Polka, oder. Natürlich muss das Illegale verfolgt werden, Gesetz ist Gesetz, und es gibt nicht wichtigere und weniger wichtige Gesetze, aber ein Schweinemörder ist nun mal in der Gesellschaft nicht so stark Persona non grata wie zum Beispiel ein Menschenmörder. Das ist eine Abwägung, wie die Juristen sagen. Das muss man abwägen. Weil wir nicht so viel Polizei haben wie zum Beispiel die Sowjetunion. Dort wussten sie schon von den Verbrechen, bevor sie geschehen waren, so viel Polizei und Agenten hatten sie dort. Und überall eingeschleust. Aber nicht bei uns! Bei uns ist es anders, und zwar von Kanton zu Kanton. Und verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte nicht, dass es anders wäre, als es ist. Weil es gut ist, wie es ist. Meistens.
Solche Sachen denkt sich der Müller. Gut, ich habe selber noch das eine oder andere ergänzt.
Und jetzt kommt Heini Angst in den Stall zum Müller und fragt ihn, ob er eine Suppe will oder etwas anderes. Und er hat schon eine Flasche Most mitgebracht. Und der Müller, der seit dem Morgen nichts mehr gegessen hat, nimmt gerne an.
Nach der Mahlzeit, im Sitzen auf dem Stroheinstreu, kommt die vergessene Tablette dem Müller wieder in den Sinn. Herr Borowski war eindeutig: eine Tablette jeden Abend vor dem Schlafengehen. Muss er nun am nächsten Abend zwei Tabletten nehmen, um den Wirkstoffpegel aufzuholen? Aber er kann vielleicht nächste Nacht keine schlucken, weil er dann vielleicht noch hier im Stall ist und wach bleiben muss.
Der Müller riskiert es nun doch, kurz nicht auf das aufzupassen, worauf er schon
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