München - 2030
Rollatorgeschäft«, sagte Victor missmutig auf den Boden starrend. »Es läuft nicht mehr.«
So niedergeschlagen hatte Charly Victor selten erlebt.
»Das trifft sich gut«, sagte Charly und klopfte ihm Mut machend auf die Schulter, »ich hab einen Job für dich.«
Victor hob ein wenig seinen Kopf.
»Einen Job?«, fragte er irritiert.
»In Haus Sonnenschein«, antwortete Charly.
Altenarbeit war schon lange kein gesellschaftliches Thema mehr. Seitdem die staatliche Rentenzahlung nur mehr einen Bruchteil der Lebenshaltungskosten einer Einzelperson zu decken vermochte, und von Seiten der Regierung keine weitere Anpassung an die Bruttolöhne stattgefunden hatte, waren die meisten Alten dazu genötigt einer geregelten Arbeit nachzukommen. Jetzt stellte vielmehr die hohe Altenarbeitslosigkeit ein gewichtiges Problem dar.
Es war nämlich nur noch einem kleinen Teil der Alten möglich – und das auch nur bei bescheidener Lebensführung – mittels ihrer Rente den Unterhalt zu bestreiten. Die Glücklichen hatten entweder eine private Rentenversicherung mit der Anpassungsformel Präsident-Plus abgeschlossen, oder es handelte sich um ehemalige Beamte oder Politiker. Alle Anderen waren nun gezwungen selbst für ihren Unterhalt aufzukommen, damit sie nicht auf der Strecke blieben.
Die Arbeitslosigkeit bei Personen die das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet hatten, lag bei über fünfzig Prozent. Andere Quellen sprachen sogar von realistischen siebzig Prozent, da die Regierung sämtliche Minijobber und Kleinstgewerbebetreibenden in die Statistik mit hinein genommen hatte, um ihr etwas an Brisanz zu nehmen. Da reichte es schon aus wenn jemand nur für einen Tag pro Monat ein Beschäftigungsverhältnis aufzuweisen hatte, damit er nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftauchte.
Kapitel 4
Haus Sonnenschein
Am nächsten Morgen machte sich Victor gemeinsam mit Charly auf den Weg zu Haus Sonnenschein. Der Winter war zurückgekehrt und in den Straßen lag Schnee. Die beiden hatten sich in warme Mäntel gehüllt und trotteten schläfrig, in der frühen Morgenstunde, die Straße hinunter. Als sie an der Haltestelle Limes-/Altenburgstraße ankamen mischten sie sich unter die anderen Wartenden.
Victor sinnierte darüber, wie es Charly geschafft hatte eine Arbeitsstelle für ihn an Land zu ziehen.
»Heutzutage ist es doch so gut wie unmöglich einen Job zu bekommen – wie hast du das bloß hinbekommen«, fragte er, während der Bus einfuhr und glücklicherweise mit dem hinteren Einstieg genau vor ihrer Nase stoppte. Sofort stellte sich wieder ein Gedränge ein und sie wurden von dem Mob ins Innere geschoben. Am hinteren Ende des Busses sahen sie eine freie Bank und begannen sich durchzukämpfen. Doch als sie an der Sitzbank angelangt waren, versperrte ein unhöflicher Alter, der sich zuvor an ihnen vorbeigedrängt hatte, unter Drohgebärden den Zutritt mit seinem Stock. Aber als der Bus ruckartig anfuhr, stolperte er und geriet aus dem Gleichgewicht, wodurch er gezwungen war, den Weg wieder freizugeben. Zu seinem Glück bekam der Alte gerade noch die Haltestange zu fassen, sonst wäre er übel gestürzt. Nun hing er an der Stange, die er aber nicht mehr loslassen konnte, da der Busfahrer in halsbrecherischer Manier durch die Stadt raste, während der Alte nun schimpfte was das Zeug hielt.
Victor und Charly schenkten dem Alten noch ein mitleidiges Lächeln und ließen sich genießerisch auf ihren Sitzen nieder.
Mit diesen habgierigen Alten war es immer dasselbe, oft waren es ehemalige Beamte die sich so unsozial verhielten.
Schließlich ging Charly auf Victors vorherige Frage ein.
»Ich hab dem Abteilungsleiter meiner Abteilung einen Setzling Gras versprochen«, erklärte er. »Ich kenne den Abteilungsleiter von früher, die Arbeitsstelle in Haus Sonnenschein habe ich auch über ihn. Wir sind uns zufällig nach dreißig Jahren wieder begegnet, da hat er mir gleich einen Job verschafft. Er ist Jahrgang 1950 und war wie ich ein aktives Mitglied der 68er-Bewegung. Als Martin Luther King ermordet wurde, sind wir gemeinsam auf die Straße gegangen und haben gegen den Rassismus und die soziale Ungerechtigkeit demonstriert. Außerdem war er eine Zeitlang Sympathisant der Haschrebellen und ist seit damals leidenschaftlicher Kiffer. Und von dem Monsanto-Shit bekommt er immer nur
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