München - 2030
gegenüber, auf der anderen Seite des Eingangs, befand sich ein Bildnis von Hygeia der Göttin der Gesundheit. Auch sie war mit Schlange dargestellt, bei ihr jedoch wand sich das Reptil um den rechten Arm und trank aus einer Schale, die ihr Hygeia mit der linken Hand darbot.
Die Böden und Wände der Halle waren mit rotem Marmor getäfelt und mittig an der hinteren Wand befand sich die Rezeption. Hierbei handelte es sich ebenfalls um ein Objekt aus Marmor, jedoch in weißem Carrara-Marmor. Über ihnen, im Zentrum des Raumes, war ein gewaltiges Fenster an der Decke angebracht, das die Form eines gläsernen Auges besaß, und den Raum mit Tageslicht anfüllte.
Doch was Victor wirklich ins Wanken brachte, war die Tatsache, dass er ein menschliches Wesen unter dreißig Jahren hinter der Rezeption erblickte. Und dies war überhaupt die erste Person unter sechzig Jahren, die er in den letzten fünf Jahren zu Gesicht bekommen hatte. Dazu war dieses Wesen noch weiblicher Natur und sah absolut umwerfend aus.
»Da ist ja eine junge Frau«, stotterte er.
Die Dame, die Victor hinter Rezeption gesehen hatte, war so irre schön, dass auf Victors Gesicht ein schüchternes Lächeln geriet und er für einen Augenblick vergaß, dass er beinahe ein siebzig Jahre alter Knacker war.
Sie war um die Zwanzig, eine Südländerin mit festen langen Haaren und mandelförmigen, nahezu schwarzen Augen. Für Victor wirkte sie wie eine Fata Morgana aus einer anderen Welt. Mit verklärtem Blick starrte er ihr entgegen.
Charly kniff ihn heftig in die Seite.
»Starre doch nicht so«, flüsterte er ihm eindringlich ins Ohr.
Charly holte einen Plastikausweis hervor und hielt auf das Fräulein zu.
»Er ist neu«, sagte er in entschuldigender Weise auf Victor zeigend, »heute ist sein erster Arbeitstag.«
»Ich verstehe«, sagte sie liebenswürdig lächelnd und mit einer zauberhaften Stimme. »Dann werde ich ihn solange mit einem Besucherausweis ausstatten, bis er den Haus-Sonnenschein-Identifikationsausweis bekommt.«
Schließlich wandte sie sich an Victor.
»Sie müssen die Karte jedes Mal vor die weißen Knöpfe rechts der Türen halten – das sind die Chipkartenleser, die Türen öffnen dann automatisch«, sagte sie freundlich. Victor, dem es die Sprache verschlagen hatte, nickte und machte sich den Kragen auf. Er hatte einen hochroten Kopf bekommen und ihm war heiß geworden.
»Nur für die unteren Sektionen benötigen Sie eine andere Karte mit einer höheren Sicherheitsstufe«, erklärte sie ergänzend, »aber da werden Sie vermutlich so schnell nicht eingesetzt.«
Kurz darauf machte Charly mit Victor eine kleine Führung durch Haus Sonnenschein. Hinter der Empfangshalle betraten sie einen langgezogenen elektrisch betriebenen Fahrsteig, welcher sie in den eigentlichen Lounge-Bereich beförderte. Nach etwa siebzig Metern waren sie angekommen. Das Ambiente wirkte gediegen und einladend. Es war ein großer Raum, der in verschiedene Abschnitte gegliedert war. Linker Hand befanden sich mehrere lederne Sitzgarnituren, die vor einem riesigen beleuchteten Aquarium standen, in dem tropische Fische schwammen. Ein paar Alte saßen vereinzelt auf den Sofas und lasen Zeitung, während andere Alte – offensichtlich die Bediensteten (alle in Polohemden mit Haus-Sonnenschein-Logo) – sie mit Kaffee und Brötchen versorgten.
»Einige Bewohner«, erklärte Charly, »ziehen es vor ihr Frühstück hier einzunehmen. Aber es gibt auch Speisesäle und etliche Cafés.« Eine kleine Gruppe von Bewohnern stand auf der anderen Seite des Raumes und blickte interessiert auf einen riesigen Bildschirm.
»Hier können sich die Bewohner täglich über die neusten Unterhaltungs- und Sportangebote informieren. Lesungen, Filme, Theater – aber auch – Yoga, Reiki, Qi Gong, Tanzkurse alles was man sich nur vorstellen kann«, erklärte Charly.
»Haus Sonnenschein ist in verschiedene Ebenen unterteilt. Wir befinden uns hier in Ebene 1. Es gibt aber mehr als zwanzig davon. Von 1 bis 10 ist jede Ebene ein in sich geschlossenes System, mit eigenen Wohnräumen, Speisesälen, Sportanlagen, Bädern, Saunen sowie Räumen zur Fußpflege und Kosmetikbereich. Aber auch ein eigenes Gesundheitszentrum und eine kleine Krankenstation gehören zu jeder Station. Doch die
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