München - 2030
Rolling-Stone-Magazin war zu lesen, er habe sich ein halbes Jahr in Thailand aufgehalten und sich dort mehreren Schönheits-OPs unterzogen.«
Ozzy Osbourne, in einen schwarzen Frack gekleidet, lief von einem Trommelwirbel begleitet an den Rand der Bühne und stand dann zum Anfassen nah, direkt vor seinen Fans. Er öffnete seinen Mund und streckte seine Zunge hervor. An seinen Mundwinkeln bildeten sich dünne Rinnsale Blut, die ihm am Kinn herunterliefen, und in der Mitte seiner herausgestreckten Zunge sah man einen Taubenkopf liegen. Auch diese Szene wurde auf den Projektionswänden im Großformat dargestellt. Den Zuschauern stockte der Atem. Dann zauberte er aus seiner Hand den Rumpf einer Taube, entnahm seiner Zunge den Kopf des Vogels und fügte beides zusammen. Vor den Augen der Zuschauer flatterte plötzlich eine lebende Taube aus Ozzy Osbournes Hand zur Decke empor. Die perfekte Illusion. Das Publikum kreischte.
Inzwischen erweckte Ozzy die Tiere zum Leben, während er ihnen früher, auf dem Höhepunkt seiner Shows, den Kopf abgebissen hatte.
Kurz darauf war eine Band an der Reihe, die Victor schon einmal live erlebt hatte.
»Mann, das sind »Pavlov’s Dog« mit Julia , die haben wir doch November 13, im LEGENDS OF ROCK gesehen«, sagte Charly.
»Genau!«, rief Victor, »war super, damals!«
Als schließlich AC/DC auf der Bühne standen und der Sänger Hells Bells ins Mikro plärrte, begann das Publikum zu rasen.
Alte Knacker humpelten Luftgitarre spielend über die Tanzfläche. Bizarr aufgestylte, löwenmähnig blondierte Seniorinnen, in 80er Jahre Leggins gekleidet, gerieten headbangend außer Kontrolle. Viele der Alten waren mit ihren Rollatoren auf der Tanzfläche, manche fuhren in Schlangenlinien zwischen den anderen hindurch. Andere bewegten ihr Gefährt passend zur Musik vor und zurück. Wieder andere trommelten darauf herum. Und ein besonders kräftiger Alter stemmte seinen Rollator immer wieder rhythmisch in die Höhe.
An einer Seite des Saals sah man ein paar Krankenpfleger, die einem Alten das Hemd aufrissen und einen Defibrillator an dessen Brust ansetzten, um Wiederbelebungsmaßnahmen durchzuführen. Sekunden später sprang der Alte schon wieder auf und verschwand, den Kopf wild zur Musik auf und abwerfend, erneut in der Menschenmasse, während die Sanitäter einem weiteren kollabierten Gast mit einer Sauerstoffmaske zu Leibe rückten.
Diverse alte Knacker, bis obenhin zugeschüttet, begaben sich sabbernd auf Frauenfang, in der Hoffnung, endlich ihrer langjährigen, unfreiwilligen sexuellen Askese, ein Ende zu bereiten. Ein Alter hatte es beinahe geschafft und versuchte, zwischen den Stühlen liegend, eine der Seniorinnen zu begatten. Eine andere Alte saß auf ihrem Rollator und probierte vergeblich den klemmenden Hosenschlitz eines Seniors zu öffnen. Und nicht weit davon entfernt sah man ein Rentnerpärchen hemmungslos herumschmusen, während die beiden unbeholfen im Begriff waren, sich die Kleider vom Leib zu reißen.
Victor sah sich nach seinen Kollegen um, da entdeckte er Didi, wie er mit der Alten mit dem Hund inzwischen auf Bruderschaft trank. Beide waren vollkommen besoffen.
Als sich Victor, Susann und Charly am nächsten Morgen übernächtigt auf den Weg nach Hause machten, waren sie glücklich und zufrieden, aber total erledigt. Die Party hatte allen einen riesen Spaß gemacht.
»Ich bin so froh, dass du mir die Stelle in Haus Sonnenschein verschafft hast«, sagte Victor an Charly gerichtet, der sich für diesen Freundschaftsdienst bedanken wollte.
Seit Victor und Charly einer geregelten Arbeit nachgingen lief es auch zuhause um einiges besser. Die beiden brachten nun immer wieder aus Haus Sonnenschein Essen mit nach Hause und die Kidneybohnen gab es allenfalls nur noch zweimal pro Woche. Susann registrierte die Veränderungen mit Wohlwollen. Und als Victor und Charly einmal einen Obstkuchen mitbrachten, stöhnte sie bei jedem Bissen genüsslich auf, so sehr genoss sie den Kuchen. Es war ein absolutes Highlight und das erste Mal, dass sie eine Süßspeise aß, seit über fünf Jahren.
Eines Tages, als Victor und Charly wieder in die Arbeit fuhren, blieb ihr Blick an einem Zeitungskasten hängen.
»Giftiger Schimmelpilz befällt Kidneybohnen«, titelte eine große Münchner
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