München - 2030
Tageszeitung.
Charly kramte etwas Kleingeld zusammen und entnahm dem Kasten eine der Zeitungen. Im Bus angekommen rangen sich die beiden wie üblich zu einem Sitzplatz durch – Victor rempelte einen Alten zur Seite und Charly schob ihn wieder dorthin zurück, wo er zuvor gestanden hatte – inzwischen waren die beiden ein eingespieltes Team, was das Erobern der Plätze betraf. Nachdem sie schließlich zwei freie Sitze errungen hatten, lasen sie die Zeitung gemeinsam.
»Das ist doch wieder der Hammer«, kommentierte ein alter Knacker, der hinter Victor und Charly saß und seinen Kopf zwischen den beiden durchsteckte.
In dem Artikel war die Rede davon, dass ein gefährlicher Schimmelpilz mehrere Tonnen von Kidneybohnen befallen hatte. Insgesamt seien bereits 64000 Tonnen der Bohnen sichergestellt, bei denen das gefährliche Aflatoxin B1 in entnommenen Proben bestätigt wurde. Weitere etwa 100.000 Tonnen standen auf Halde. Eine Stellungnahme des Bundesinstitutes für Risikobewertung stand noch aus – genauso wie die Entscheidung der Regierung über die weitere Vorgehensweise. Einige der befragten Politiker argumentierten in dem Artikel dafür, die befallenen Bohnen, trotz der hohen Belastung mit Aflatoxin B1 an die ältere Bevölkerung zu verteilen – da es anhand der noch zu erwartenden Lebenserwartung keine gesicherten Zahlen gäbe, ob das Gift überhaupt einen maßgeblichen Einfluss auf die Restlebenszeit nahm. Zumal die Alten ohne die Bohnen ohnehin zu verhungern drohten.
Bereits ein paar Stunden nach bekanntwerden der Meldung, seien in den ersten Geschäften Hamsterkäufe registriert worden, vermeldete der Handel.
Am Ende des Artikels beklagte der Reporter, der ihn verfasst hatte, dass die Stimmung in der Bevölkerung auf einem neuen Tiefstand gelandet sei, und dass mit oder ohne Schimmelpilz, es niemand verdient hätte - der insbesondere sein ganzes Leben gearbeitet hatte – sich ausschließlich von Kidneybohnen ernähren zu müssen.
Als der Bus in die Innenstadt gelangte, sahen Victor und Charly, vor mehren Geschäften eine Schlange von Alten anstehen, die warteten bis die Läden ihre Pforten öffneten.
Zur Mittagszeit versammelte sich ein Teil der Belegschaft von Ebene 4 in Victors Rollatorwerkstatt, um sich die neuesten Nachrichten aus dem Radio anzuhören. Doch vor der Sendung wurde wieder folgender Satz verlesen:
»Bitte bedenken Sie bei nachfolgender Berichterstattung, dass der Mensch verrückt ist und immer verrückt bleiben wird!«
Als schließlich das Thema auf den Kidneybohnen-Skandal kam, verkündete der Sprecher, dass binnen weniger Stunden die Kriminalitätsrate nach oben geschnellt war. Einige Geschäfte seien Opfer von Massenplünderungen geworden. Dazu war es in mehreren Stadtgebieten, infolge der Hiobsbotschaft, zu zahllosen Überfällen auf Privathaushalte gekommen. Die Überfallenen beklagten, dass ihnen die Diebe sämtliche Nahrungsmittel entwendet hätten. Und in einem Fall seien sogar Zimmerpflanzen davon betroffen gewesen. Der möglicherweise senile Dieb habe sie wohl für Salate gehalten. Der Sprecher warnte vor einem Verzehr der Pflanzen, einige der Gewächse seien erheblich giftig, darunter auch ein ordinärer Buchsbaum, der allein schon rund 70 Alkaloide aufweise.
»Das kann ja noch heiter werden«, kommentierte Charly, der die Radiosendung ebenfalls mit verfolgt hatte.
»Zum Glück haben wir hier in Haus Sonnenschein einen einigermaßen sicheren Job«, sagte Arno, der am längsten von allen dabei war.
Ein paar Tage darauf war Victor gerade in seine Arbeit vertieft und versuchte eine festgerostete Schraube zu lösen. Er saß mit dem Rücken zur Tür und bemerkte einen Lufthauch, als diese aufgemacht wurde. Plötzlich sah er einen blauen Lichtschein an der Wand aufflackern und eine Stimme ertönte, die ihm einen Mordsschrecken versetzte.
Brenninger stand mit seinem Polizeirollator in der Tür.
»Hallo Victor«, grüßte Brenninger.
»Hal-hal-hal«, Victor hatte es vor lauter Schreck die Sprache verschlagen.
»Hallo Herr Brenninger«, brachte er endlich hervor.
»Sie müssen keinen Schreck bekommen«, sagte Brenninger in einem freundlichen Tonfall.
»Ich hab
Weitere Kostenlose Bücher