Muenchen Blues
doch aus dem Lederstuhl.
– Sie Ratte, schrie er.
Meine Aktion hatte ihn deutlich lebhafter gemacht. Er blickte sich um. Ich wusste genau, dass er nach einer Waffe Ausschau hielt. Bei Leuten wie Nüsslein erwartet man, dass sie aus einem Samtfutteral einen chicen Derringer mit Perlmuttgriff ziehen. Aber er griff ohne zu zögern nach der Statuette der Siegesgöttin Nike, die er vor sich auf dem Schreibtisch stehen hatte. Ein Nüsslein wollte immer gewinnen.
– Nur zu, stachelte ich ihn an. Diese Runde haben Sie trotzdem verloren, Nüsslein.
Leute wie er büßen fast nie ihre Contenance ein. Sieschreiten nach Niederlagen über die Leichen der Ihren hinweg. Indolent und unverletzbar. Sie bekommen schiefe Mäuler wie Raubkarpfen, fangen sich Blinzelticks ein und werden zynisch, bleiben aber stets gepanzerte Wesen. Wenn ich auch sonst schon nichts dauerhaft gegen eine so große Gesellschaft und ihren Vorstand ausrichten konnte, wollte ich doch einmal erleben, dass er die Sau herausließ.
Ich griff mir rasch einen seiner Kunstharz-Tombstones. Da kam die Statuette bereits angeflogen, das Gipsfigürchen zerschellte jedoch an meinem Schutzschild. Er tastete nach der Mineralwasserflasche. St. Johannser Quell, im lang gezogenen schlanken Burgunderformat, Premium, nur bei Mondschein abgefüllt. Ich ließ ihn herankommen. Dann zog ich meine Stahlrute aus der Jacke und schlug die Flasche entzwei. Nüsslein machte einen Schritt zurück, ich setzte nach und gab ihm einen Haken unters Kinn. Der Schlag riss seinen Kopf nach hinten, er stolperte und landete auf dem Besprechungstisch. Ich packte ihn und drehte ihn auf den Bauch. Mit dem Brieföffner schlitzte ich seine feinen Anzughosen auf. Auch Dr. Nüsslein würde es nicht wagen, in seiner Seidenunterwäsche eine heillose Flucht anzutreten. Und mir tat das so gut, als hätte ich seinen Skalp genommen.
43
Ich machte mich auf die Suche nach Traublinger. Die Gänge des Büros waren leer, wie ausgestorben. Die Türen standen offen, aber auch dort zeigte sich keine Menschenseele. Büroratten haben ein feines Gespür für sinkende Schiffe. Ich ging weiter. Nebenan, in den neuen Räumen der Global Real Estate, befand sich ebenfalls kein Mensch. Trotzdem hatte ich das ungute Gefühl, dass mir jemand auf den Fersen war. Ein bedrohlicher Schatten folgte mir.
Als ich wieder in den Besprechungsraum zurückkehrte, lag Dr. Nüsslein nicht mehr auf dem Tisch. Wahrscheinlich hatte ihn Miriam hinausgeschafft. Im langen Mantel war er womöglich über den Direktionslift abgehauen und auf direktem Weg zu seinem Anwalt. Auf seiner Weste würde kein Fleck bleiben. Höchstens der Makel eines geschäftlichen Misserfolgs haftete ihm nun an. Das immerhin war schon etwas, auf das ich stolz sein konnte.
Plötzlich hörte ich hinter mir ein undefinierbares Geräusch. Ein Seufzer, ein Grollen, wie es sich sonst nur der borstigen Brust einer massigen, waidwunden Wildsau entringt. Vielleicht war diese Vorstellung auch nur eine Kompensation einer Geruchswahrnehmung, die ich zwar noch aufnahm, aber nicht mehr zu deuten wusste.
Überlegungen waren fehl am Platz. Ich bekam einen Tombstone zu fassen, drehte mich, sah Traublinger einen kurzen Moment lang mit gezückter Pistole hinter mir stehen, registrierte noch diesen Kantschädel, seine Clark-Kent-Zahnleiste und zusammengekniffenen Sehschlitze, dann traf ihn mein Schlag. Ein Volltreffer, ich hatte ihn volley erwischt und ihm eine volle Breitseite verpasst. Die Pistole fiel ihm aus der Hand, taumelnd stürzte er nach hinten und fiel krachend gegen den Tisch. Reflexartig bückte ich mich, um die Schusswaffe zu sichern.
– Halt, ertönte es da von der Tür. An Ihrer Stelle würde ich das Ding nicht anfassen. Das könnte Spuren verwischen.
Ich drehte mich um. Maier zwo und Müller fünf standen im Raum. Traublinger rührte sich zwar nicht mehr, aber ich war heilfroh, dass die beiden gekommen waren. Einen Brocken wie Traublinger kriegte man nur zeitweise klein.
– Lassen Sie, sagte Maier zwo.
Er legte Traublinger Handschellen an. Dann musterte er mich.
– Bei Ihnen können wir es ja mal ohne versuchen. Aber mitkommen müssen Sie so oder so.
Ich winkte ab.
– Ist in Ordnung.
Vorne am Ausgang verabschiedete ich mich noch von Emma.
– Bis später, sagte ich.
Das klang hoffnungsvoller als mir zumute war.
44
Man brachte mich in das Büro von Müller fünf, wo ich schon vor einiger Zeit mit den Herren eine erste ausführliche Gesprächsrunde
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