München Manhattan #1
so wütend wie schon lange nicht mehr.
Sie stampft den wunderschönen Altbau-Treppenaufgang hinunter und läuft gerade Gefahr, mit ihrem Lärm alle Hausbewohner vor ihre Wohnungstüren zu locken. Sie nimmt die Stufen in Windeseile, stampft jedes Mal kräftig auf und zieht dabei ihre Tochter Anna hinter sich her. Die war gerade dabei gewesen, ihre Schuhe überhaupt erst auszuziehen, als sie schon von ihrer Mutter am Ellenbogen gepackt wurde.
Annas Schuhe sind noch nicht wieder richtig zu und sie tut sich schwer, auf ihren kleinen fünfjährigen Beinen mit ihrer Mutter Schritt zu halten.
„ Mamaaaaa – warteeeee !“
Anna schreit und stolpert. Sie stolpert erst eine Stufe, dann noch eine weitere und bevor sich Susanna versehen kann, kullert Anna an ihr vorbei. Susanna sieht ihr wie gelähmt nach und zögert einen Moment, bevor sie die Situation umreißen kann. Dann hechtet sie ihrer Tochter hinterher.
Von Annas Schrei erschrocken, ist Sophie aus ihrer Wohnung hinausgeeilt und rennt ebenfalls die Treppe hinab. Einen Moment ist es im Treppenhaus furchtbar laut.
Und dann: Stille. Susanna ist mittlerweile neben ihrer Tochter angekommen, und Sophie ist nur noch ein paar Stufen von den beiden entfernt. Die Schreie von vor ein paar Sekunden scheinen noch ein wenig nachzuhallen. Nur die tiefe Atmung der zwei Frauen durchdringt die lähmende Stille. Anna liegt auf der Seite und bewegt sich nicht. Susanna kauert neben ihrer Tochter und wimmert ihren Namen.
„Anna, Schatz, bitte mach’ die Augen auf. Anna! Anna! Mein Engel, Mami ist ja da, es wird alles gut …“
Susannas Stimme verliert sich. Dann gibt sie sich einen Ruck und sammelt sich und wendet sich Sophie zu, die jetzt direkt neben ihr ist.
„Ruf sofort einen Krankenwagen.“
Sophie rennt im Eiltempo die Treppe wieder hoch.
„ Mamaaa !“ Anna dreht sich zu ihrer Mutter. Sie hat die Augen geöffnet und beginnt zu zittern. „Mein Kopf …“, wimmert sie.
„ Auuuua …“ Anna schreit vor Schmerz und dreht sich ein wenig und – spuckt.
Bitte lass’ es nichts Ernstes sein! Nein, daran darf ich jetzt nicht denken. Ich muss ruhig bleiben … Ich muss Robert anrufen.
Susanna greift mit einer Hand in die Außentasche ihrer George, Gina und Lucy Tasche. Sie tastet nach ihrem Handy, kann es aber nicht finden.
Laut ruft sie: „Sophie, sag doch bitte Robert Bescheid.“
Sophie erscheint im vierten Stock a m Treppengeländer und antwortet: „Ja, mache ich. Der Krankenwagen müsste jeden Moment da sein! Ich werde auch noch Kristin anrufen. Ich komme gleich runter. Muss nur noch schnell Gavin einen Zettel da lassen, damit er nachher die Jungs abholt. Hier schon mal eine Decke!“
Am dunklen Eichen-Geländer rutscht eine wollseidene, wunderschöne handgearbeitete Decke hinunter.
Kurz darauf hört Susanna die Tür oben ins Schloss fallen. Behutsam wickelt sie die Decke um ihre Tochter. Als sich Sophie neben sie setzt, den Arm um sie legt und ihr versichert, dass alles gut wird, ist sie froh, dass ihre Freundin bei ihr ist.
***
BIS ANS ENDE DER WELT – NUR NICHT JETZT
MÜNCHEN. ZUR GLEICHEN ZEIT
„Ich fahre mit dir überall hin, wohin du auch willst – nur jetzt geht es wirklich nicht.“
Das war in etwa Peters Reaktion auf Kristins Vorschlag gewesen, ein Wochenende mit ihr in der Toskana zu verbringen.
Er hatte natürlich versucht, das etwas besser zu verpacken. Er hatte immer wieder beteuert wie glücklich er darüber ist, dass sie ihm noch eine Chance gibt und ihm verzeiht.
Und das hatte sie noch nicht einmal gesagt. Denn woher sollte sie denn jetzt schon wissen, ob sie ihm wirklich verzeihen kann? Genau dafür wollte sie doch dieses Wochenende. Aber je mehr sie insistiert hatte, desto ungehaltener war er geworden.
Das Gespräch war auf einmal in eine für sie ganz falsche Richtung gelaufen. Am Schluss war es ihr so vorgekommen, als ob sie mal wieder die verwöhnte Ehefrau sei, die beleidigt war, weil er so viel arbeiten muss. Denn genau das hatte er gesagt: Dass er arbeiten müsste. Er würde mit ihr bis ans Ende der Welt reisen, aber im Moment wäre es einfach unmöglich, das Büro zu verlassen. Er habe ziemlich viel Ärger im Job.
Welchen Ärger genau wollte er nicht sagen. Im Gegenteil, er war sogar noch ungehaltener geworden. Hatte etwas von „Kann jetzt nicht reden, ich erzähl dir alles, wenn du zurück bist“ gestammelt. Am Ende war er wohl froh gewesen, als sie das Gespräch beendet hatten. Schnell hatte er ihr noch
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