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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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völlig abgeschieden von der Außenwelt. Es gab einen Fürsten, der über die Bauern herrschte, doch in den Familien hatten die Frauen das Sagen. Bis in die heutige Zeit. Ob es sich deshalb bei der Mosuo-Kultur um ein Matriarchat handelte, war unter den Verfassern der verschiedenen Texte umstritten. Einig waren sich alle Autoren lediglich darin, dass Nachkommen immer in der Familie ihrer Mutter blieben und eine Frau als Familienoberhaupt anerkannten. Ehen zwischen Männern und Frauen existierten kaum, stattdessen etwas, das als
Besuchsehe
bezeichnet wurde: Männer besuchten ihre Partnerinnen in der Nacht und kehrten dann in ihre eigenen Familien zurück. Nicht mal den Kommunisten, die 1956 die Mosuo von ihrem «Feudaljoch befreien» wollten, war es gelungen, sie zur Aufgabe ihrer alten Sitten und Gebräuche zu bewegen. Nachdem der Spuk der Kulturrevolution vorüber war, kehrten die Mosuo zu ihrem gewohnten Leben zurück.
    Bastian ging in den Sitzungsraum des KK 11 und zapfte sich eine Tasse Kaffee aus dem Kaffeespender. Einiges an Yasis Verhalten war ihm jetzt klarer. Anscheinend lebte sie noch immer nach den Vorstellungen ihres Volkes und betrachtete ihn als Besucher, der morgens wieder zu verschwinden hatte. Allerdings war sie schon so lange in Deutschland, dass sie wissen musste, wie deutsche Männer tickten. Wie konnte sie ihn derart vor den Kopf stoßen?
    Auf dem Flur wäre Bastian beinahe mit einer älteren Frau zusammengeprallt.
    «Ach, Herr Matt», sagte Anna Warmbier. «Wir sehen uns diese Woche noch, nicht wahr?»
    «Ja», brachte Bastian heraus. Obwohl sie seit zwei Jahren miteinander redeten, schaffte es die Psychologin immer noch, ihn in Alarmstimmung zu versetzen.

[zur Inhaltsübersicht]
Fünf
    Am nächsten Morgen stand Susanne Hagemeister in der Bürotür. «Wir haben sie.»
    «Wen?» Bastian hievte sich aus dem Schreibtischstuhl hoch. Er verfluchte sich dafür, dass er am Abend zuvor, nach der frustrierenden MK -Sitzung, ein paar Biere zu viel getrunken hatte. Jetzt bezahlte er die Rechnung mit einem Brummschädel.
    «Wen wohl? Die Nutte, die bei Mergentheim war. Liebherr und Strothkamp, die beiden Kollegen vom KK 12 , haben sie in einem Studentenwohnheim aufgegabelt und sind auf dem Weg hierher.»
    «Sie ist Studentin?»
    «Und finanziert ihr Studium mit kleinen Handreichungen und körperlichem Einsatz. BA föG muss man ja dummerweise zurückzahlen.»
    Bastian massierte seinen Nacken. «Hast du zufällig eine Kopfschmerztablette?»
    «Du siehst blass aus.» Susanne kramte in ihrer Handtasche. «Liebeskummer? Geht’s um die Frau, bei der du neulich warst?»
    «Susanne! Bitte!»
    «Was denn? Wir sind Kollegen. Darf ich mir keine Sorgen machen?»
    «Und du bist eine Frau.»
    «Schön, dass du das auch mal bemerkst.» Sie warf ihm ein kleines Tütchen zu. «Kannst du ohne Wasser schlucken.»
    Bastian seufzte. Yasi Ana war nur zum Teil für seine Kopfschmerzen verantwortlich. Nach der MK -Sitzung, bei der Fahlen es sich nicht hatte nehmen lassen, ihn und Susanne vor versammelter Mannschaft zu kritisieren, war Bastian nicht sofort nach Hause gefahren. Stattdessen hatte er eine Weile überlegt, ob er Yasi anrufen und um eine Aussprache bitten sollte. Doch je länger er darüber nachdachte, desto mutloser wurde er. Nein, er würde einfach abwarten, ob sie sich noch einmal meldete. Falls nicht, wäre er um eine Erfahrung reicher. Wobei er nicht sicher war, welcher Teil des Erlebnisses am Ende die Oberhand behalten würde: der tolle Anfang, der grandiose Mittelabschnitt oder das beschissene Ende.
    Auf dem Nachhauseweg fiel ihm ein, dass er eine neue Jeans kaufen könnte. Ein guter Vorwand, um mit dem Fahrrad einen Abstecher in die Innenstadt von Münster zu machen und den Zeitpunkt, an dem er mit sich allein war, noch ein bisschen hinauszuschieben.
    Allerdings war das, was sich auf dem Prinzipalmarkt und dem Domplatz abspielte, nicht dazu angetan, seine Stimmung zu heben. In den Straßencafés saßen lauter gutgelaunte Menschen, die das Ende des rekordverdächtig heißen Tages mit dem Stemmen von Biergläsern begingen. Als jemand, dem nicht gerade zum Lachen zumute war, fühlte sich Bastian wie ein Nordkoreaner, den es versehentlich auf das Oktoberfest verschlagen hat.
    Dann sah er Lisa.
    Sie war schon so nah, dass er nicht wie zufällig auf die andere Straßenseite wechseln konnte. Und sie war nicht allein. Sie zog einen gegelten Typen hinter sich her, der die drei obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet

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