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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kehrer
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auf das Medikament zu sprechen, das deine Mutter einnimmt. Aber um zu begreifen, wo das Problem liegt, muss ich ein wenig ausholen.»
    «Okay.» Bastian konzentrierte sich auf den Straßenverkehr. «Ich halte den Mund.»
    «Die San nutzen die Teufelskralle und die Hoodia seit Jahrhunderten. Die Hoodia, ein kaktusähnliches Gewächs, dämpft Hunger und Durst. Was für die San lebenswichtig ist, weil sie in der Wüste Kalahari oft längere Strecken zurücklegen müssen. Ein einziges Stück Hoodia reicht ihnen als Nahrung für einen ganzen Tag. Wie gesagt, ein uraltes Wissen, das die San bis in die sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts exklusiv besaßen. Zu jener Zeit durchkämmte ein südafrikanisches Forschungsteam die Kalahari auf der Suche nach nützlichen Pflanzenwirkstoffen. Dabei stießen die Forscher auch auf die Hoodia. Doch erst Mitte der neunziger Jahre gelang es, den Appetitzügler in reiner Form herzustellen. Die Südafrikaner nannten den Stoff P 57 und meldeten ihn als Patent an. Ein Jahr später kaufte ein britisches Unternehmen die Lizenz und gab sie an einen großen Pharmakonzern weiter, der P 57 als Diätpillen auf den Markt brachte. Alle verdienten an der Hoodia viele Millionen – nur die San bekamen nichts davon ab.»
    «Sauerei», sagte Bastian.
    «Richtig. Eine Sauerei», stimmte Yasi zu. «Und jetzt komme ich auf
Bochera
, das Medikament deiner Mutter. Bei den Mosuo, meinem Volk, gibt es eine Delikatesse: zehn Jahre altes Schweinefleisch. Rate mal, wie wir die Schweine nennen:
Bocher

    Bastian hätte fast das Lenkrad verrissen. «Willst du damit sagen, dass meine Mutter altes Schweinefleisch schluckt?»
    «Nein.» Yasi lachte nicht. «Damit das Schweinefleisch so lange genießbar bleibt, wird es gepökelt, mit Salz, Gewürzen und Kräutern behandelt. Eines dieser Kräuter, wir nennen es
Baba
, wächst ausschließlich in der Nähe des Lugu-Sees. Unsere Frauen schwören auf
Baba
, sie sagen, es hilft ihnen in den Wechseljahren und vor allem im Alter. Dank
Baba
blieben sie länger gesund und wach im Kopf. Manche behaupten sogar, die Macht der Frauen bei den Mosuo beruhe auf
Baba
. Aber das halte ich für ein Gerücht.»
    «Und was ist mit den Männern?», fragte Bastian. «Wirkt
Baba
bei ihnen nicht?»
    «Nein. Offenbar nicht. Vermutlich kommuniziert der Wirkstoff von
Baba
mit weiblichen Hormonen.»
    «Ist das nie untersucht worden?»
    «Das ist der schmutzige Teil der Geschichte. Vor gut zwanzig Jahren kamen Forscher aus Peking, die von einigen Europäern begleitet wurden, in ein kleines Dorf oberhalb des Lugu-Sees. Die Forscher sammelten Pflanzen und befragten die Einheimischen nach ihren Ess- und Lebensgewohnheiten. Dabei stießen sie natürlich auch auf
Baba
. Ein paar Jahre später veröffentlichte ein Pekinger Forschungsinstitut die Meldung, dass man im südchinesischen Hochland eine bis dahin unbekannte Pflanze
entdeckt
habe. Die Pflanze bekam einen chinesischen und einen lateinischen Namen, und um ganz sicherzugehen, dass die Mosuo nicht irgendwann Ansprüche auf ihr altbekanntes
Baba
anmelden würden, vernichteten von der Regierung geschickte Soldaten sämtliche
Baba
-Pflanzen, die sie finden konnten. Die Gefahr, dass die Pflanze ausgerottet würde, bestand nicht, denn dem Forschungsinstitut war es gelungen,
Baba
im Gewächshaus zu kultivieren. Allerdings waren die Mosuo schlauer als die Soldaten, Mosuo-Frauen essen heute immer noch
Baba
. Nur heimlich.»
    «Verstößt das Vorgehen der chinesischen Regierung nicht gegen irgendein Menschenrecht?», fragte Bastian.
    Yasi nickte. «Die chinesische Regierung verstößt ständig gegen Menschenrechte. Warum sollte sie in so einem Fall Skrupel bekommen? Es gibt tatsächlich ein UNO -Abkommen, die
Konvention über die biologische Vielfalt
. Biopiraterie ist seitdem eigentlich verboten, Industriestaaten dürfen nicht mehr ungefragt die Pflanzenwelt der Entwicklungsländer ausbeuten. Das nützt den Mosuo jedoch wenig. Die Politiker in Peking sind nicht dafür bekannt, nationale Minderheiten gerecht zu beteiligen. Im Übrigen hat das Pekinger Forschungsinstitut ein globales Patent auf den
Baba
-Wirkstoff angemeldet, das ist eine noch bessere Methode, die Verbreitung zu kontrollieren. Weltweit haben nur wenige Firmen eine Lizenz bekommen, das Medikament herzustellen. Darunter eine Pharmafirma in Lengerich.»
    «Lengerich?» Bastian horchte auf. «Lambert-Pharma?»
    «Kann sein», sagte Yasi. «Ich kenne sie nur unter dem Namen

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