Münsterland ist abgebrannt
Biopiraten
. Viele junge Menschen, aber auch etliche ältere marschierten durch die Hamburger Innenstadt. Und nur wenige trugen das Schwarz der Gewaltbereiten, das Gros der Demonstranten war modisch nicht von den shoppenden Einheimischen am Straßenrand zu unterscheiden. Auch die Polizisten, die den Zug auf beiden Seiten begleiteten, machten einen entspannten Eindruck.
Susanne vergrößerte ein Foto nach dem anderen. Plötzlich hielt sie inne: «He! Was haben wir denn da?»
Bastian sah es auch. Der Frauenkopf, der hinter einem Transparent hervorlugte, löste bei ihm ein Kribbeln im Bauch aus. Jeder Bulle kannte dieses Gefühl. Wenn sich bei einem komplizierten Fall eine überraschende Wendung ergab oder ein Tatverdächtiger kurz davorstand, sein Schweigen zu brechen, spürte man das körperlich.
Der Frauenkopf gehörte Annika Busch. Oder jemandem, der ihr sehr ähnlich sah.
«Ich werde mich mal mit den Hamburger Kollegen in Verbindung setzen», sagte Susanne. «Es gibt bestimmt Videos von der Demo.»
In den nächsten Stunden redeten sie nicht viel. Susanne ließ sich im Hamburger Polizeipräsidium von einer Stelle zur nächsten verbinden, bis sie eine Hauptkommissarin in der Leitung hatte, die wusste, wo die Filme abgespeichert waren. Eine halbe Stunde später kam das Material über das polizeiinterne Netz in Münster an.
Unterdessen beschäftigte sich Bastian mit ihrem eigentlichen Arbeitsauftrag, den Lebenslauf von Annika Busch so lückenlos wie möglich zu dokumentieren. Die Studentin war als drittes von vier Kindern in einem kleinen Dorf im Emsland zur Welt gekommen. Ihr Vater besaß einen Legehennenbetrieb, die Mutter hatte sich um die Familie gekümmert. Nach der Grundschulzeit war Annika Busch in Meppen, der nächstgrößeren Stadt, aufs Gymnasium gegangen. Auf einem Gruppenfoto des Abiturjahrgangs, das Bastian im Internet fand, sah das Mädchen, das sich ein paar Jahre später mutmaßlich an der Ermordung Carl Benedikt Mergentheims beteiligt hatte, noch wie die Unschuld vom Land aus. Der Bruch, der sich irgendwann in ihrer Biographie ereignet haben musste, ließ sich mit zugänglichen Daten nicht belegen. Sowohl in Hamburg, wo sie zuerst studiert hatte, als auch in Münster war Annika Busch eine unauffällige Studentin gewesen. Keine illegalen Aktionen, keine polizeilichen Aufgriffe, keine Vorstrafen. Auch aus sozialen Netzwerken schien sich Busch herauszuhalten. Vielleicht aus Vorsicht, so wenige Informationen wie möglich über sich preiszugeben. Im Hinblick auf das, was sie beabsichtigte. Mitglieder der MK hatten bereits ihre Eltern und ihre Geschwister befragt, in den nächsten Tagen würde man versuchen, alte Schulfreunde und Kommilitonen ausfindig zu machen. Gegenüber den Polizisten hatten die Buschs versichert, nichts über den Aufenthaltsort der Tochter und Schwester zu wissen, Annika habe den Kontakt vor etwa einem Jahr abgebrochen.
Bastian erledigte die Arbeit routiniert, machte sich Notizen, schrieb Vermerke, mit einem Ohr horchte er allerdings immer zur anderen Seite des Doppelschreibtischs hinüber, wo die Polizeifilme auf Susannes Monitor liefen. Am liebsten hätte er die ganze Zeit neben ihr gesessen.
Und so war er sofort auf den Beinen, als Susanne verblüfft nach Luft schnappte: «Halt dich fest!»
«Was ist los?» Er rannte um den Schreibtisch herum.
Susanne hatte den Film gestoppt. Das Standbild zeigte Annika Busch im Gespräch mit einer anderen Frau. Trotz der verzerrten Vogelperspektive – der Kameramann hatte die Szene von weit oben, vielleicht aus der obersten Etage eines Kaufhauses aufgenommen – war das Profil der zweiten Frau gut zu erkennen. Selbst für jemanden, der dieses Gesicht noch nicht mit Küssen bedeckt, sondern der Frau erst einige Male gegenübergestanden hatte, bestand kein Zweifel, um wen es sich handelte.
Susanne tippte mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. «Ist das da nicht unsere Rechtsmedizinerin?»
Bastian fand, seine Kollegin hätte sich den ironischen Ton sparen können. «Yasi hat in Hamburg studiert.»
«Und sie hat sich gegen Biopiraterie engagiert. Hast du mir gar nicht erzählt.»
«Wusste ich auch nicht. Aber was ist daran verwunderlich? Sie ist eine Mosuo, und ihr Volk wurde bestohlen.» Bastian versuchte, seine Verunsicherung zu kaschieren. Natürlich konnte es für das Gespräch zwischen Yasi und Annika Busch eine harmlose Erklärung geben. Die beiden Frauen waren sich vielleicht zufällig begegnet und hatten ein paar Sätze
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