Muensters Fall - Roman
Sekunden, aber es war offensichtlich, dass Mauritz Leverkuhn keine Lust hatte, irgendetwas aus eigenem Antrieb zu sagen.
»Wie ist das Verhältnis zwischen den Geschwistern?«, fragte er dann. »Haben Sie viel Kontakt?«
»Was hat das denn mit der Sache zu tun?«
Leverkuhn setzte sich zurecht und zupfte an den Bügelfalten seiner Hose.
»Vermutlich nichts«, sagte Münster. »Es ist schwer in einem so frühen Stadium zu sagen, was etwas mit der Sache zu tun hat. Und was nichts damit zu tun hat.«
Das ist vielleicht ein Spaßvogel, dachte er. Und eigentlich traf dieses Urteil auf die ganze Familie zu. Gesprächig waren sie nicht gerade, zumindest nicht die Vertreter, mit denen er
bis jetzt in Kontakt gekommen war. Kellerasseln, wie Reinhart solche Leute zu bezeichnen pflegte.
Aber vielleicht war er ja auch ungerecht. Er selbst konnte sich auch nicht gerade als munteren Plauderer bezeichnen, wenn er es genau nahm.
»Ihre ältere Schwester?«, fuhr er fort. »Wenn ich es richtig verstanden habe, ist sie kränkelnd?«
Mit einem Mal sah Mauritz Leverkuhn direkt feindlich aus.
»Sie haben keinen Grund, sie hier mit reinzuziehen«, erklärte er. »Unsere Familie hat nichts mit den Geschehnissen zu tun. Weder ich noch meine Schwestern ... noch meine Mutter.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Münster.
»Was?« Mauritz Leverkuhn schien nicht zu verstehen.
»Wie können Sie so sicher sein, dass keiner von den anderen darin verwickelt ist? Sie haben doch kaum Kontakt zu ihnen.«
»Ach, halt die Schnauze«, sagte Mauritz Leverkuhn.
Und das tat Münster. Dann drückte er auf die Taste der Gegensprechanlage und bat Frau Katz, ihnen Kaffee zu bringen.
»Erzählen Sie mir, was Sie am Samstagabend gemacht haben.«
Der Kaffee hatte das Klima ein wenig entspannt. Aber nur ein ganz klein wenig.
»Ich war zu Hause«, erklärte Mauritz Leverkuhn mürrisch, nachdem er zwei Sekunden nachgedacht hatte. »Habe mir im Fernsehen Boxen angeguckt.«
Münster machte sich routinemäßig Notizen.
»Um wie viel Uhr?«
Mauritz Leverkuhn zuckte mit den Schultern.
»Ungefähr zwischen zehn und zwölf. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich hierhergefahren bin und meinen Vater ermordet habe? Sind Sie vollkommen durchgeknallt?«
»Ich glaube gar nichts«, sagte Münster. »Aber ich würde mir wünschen, dass Sie ein bisschen bereiter zur Zusammenarbeit wären.«
»Ach, wirklich? Und wie soll ich bitte schön mit Ihnen zusammenarbeiten, wenn Sie keinen Furz dazu beitragen?«
Das weiß ich auch nicht, dachte Münster. Wie viele Jahre ist es her, dass du mal über irgendwas gelächelt hast?
»Aber was denken Sie?«, versuchte er es noch einmal.
»Schließlich müssen wir nach jemandem suchen, der ein Motiv haben könnte, um Ihren Vater zu töten ... Es kann natürlich die Tat eines Wahnsinnigen sein, aber sicher ist das nicht. Es kann auch etwas anderes dahinter stecken.«
»Und was zum Beispiel?«, wollte Mauritz Leverkuhn wissen.
»Ja, da hoffen wir eigentlich, dass Sie uns einen Tipp geben könnten.«
Mauritz Leverkuhn schnaubte verächtlich.
»Glauben Sie wirklich, ich würde mit irgendwas hinterm Berg halten, wenn ich was wüsste?«
Münster sagte nichts, warf nur einen Blick auf die Fragen, die er sich vorher aufgeschrieben hatte.
»Wann sind Ihre Eltern in den Kolderweg gezogen?«, fragte er.
»1976. Warum?«
Münster ignorierte die Frage.
»Warum?«
»Sie haben ihr Haus verkauft. Wir Kinder waren ja inzwischen ausgezogen.«
Münster machte sich Notizen.
»Außerdem hat er einen neuen Job gekriegt. Er war eine Weile arbeitslos gewesen.«
»Was für einen Job?«
»In der Pixnerbrauerei. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Sie das alles schon wissen.«
»Kann sein«, sagte Münster. »Und bis dahin haben Sie also in Pampas gewohnt?«
Mauritz Leverkuhn nickte.
»Ja, in Pampas. Eigenheimschachteln für die Arbeiterklasse. Vier Zimmer, Küche. Zwanzig Quadratmeter Rasen.«
»Ich weiß«, sagte Münster. »Und wohin sind Sie gezogen, als es zu eng wurde?«
»Nach Aarlach. Habe 1975 auf der Handelsschule angefangen. Aber das kann ja wohl nicht besonders wichtig sein?«
Münster tat wieder, als suche er etwas auf seinem Notizblock. Mauritz Leverkuhn hatte die Arme vor der Brust gekreuzt und starrte aus dem Fenster auf die regenschweren Wolken. Seine Aggressivität schien in eine ausgeprägte Lethargie übergegangen zu sein. Als würde er sich in dem Wetter draußen spiegeln, dachte
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