Muensters Fall - Roman
bestimmen ließ, um so weniger würde sie gezwungen sein, mit ihm zu diskutieren. Mitte des Monats blieb er sogar ein paar Tage hintereinander fern, aber im Dezember, als die Verhandlung kurz vor der Tür stand, gab es so viel, was noch einmal durchgegangen werden musste. Sie verstand nicht so recht, warum eigentlich, fragte aber auch nicht.
Es soll nur schnell vorbeigehen, dachte sie, und das war auch der einzige Wunsch, den sie ihm gegenüber überhaupt äußerte. Dass es nicht eine lang gezogene Geschichte werden sollte, mit Plädoyers und Zeugenbefragungen und all dem, was sie aus dem Fernsehen kannte.
Und der Rechtsanwalt Bachmann strich sich mit der Handfläche übers Haar und versprach ihr, sein Bestes zu tun. Aber
da gab es ja trotzdem gewisse Unklarheiten, und alles konnte man nicht aus dem Gerichtssaal heraushalten.
Jedes Mal, wenn er darauf hinwies, bemühte er kurz seine Gesichtsmuskeln, aber sie erwiderte sein Lächeln nie.
Der Pfarrer hieß Kolding und war in ihrem Alter. Ein sanfter Prediger, der immer eine Thermoskanne Tee und eine Schachtel Kekse bei sich hatte, und der meistens eine halbe Stunde auf dem Stuhl in ihrer Zelle zuzubringen pflegte, ohne in der Zeit besonders viel zu sagen. Bei seinem allerersten Besuch hatte er erklärt, dass er sich nicht aufdrängen wollte, dass es aber dennoch seine Absicht war, jeden zweiten oder dritten Tag zur Verfügung zu stehen. Für den Fall, dass sie etwas besprechen wollte.
Der Fall trat nie ein, aber sie hatte nichts dagegen, dass er dort saß. Er war lang und mager, ein wenig krumm von den Jahren, er erinnerte sie ein wenig an ihren Konfirmationspfarrer. Einmal fragte sie ihn, ob er möglicherweise mit diesem verwandt war, aber das war er natürlich nicht.
Doch eine Zeit lang hatte er in der Maalwortgemeinde in Pampas gewirkt. Das kam bei einem ihrer seltenen knappen Gespräche heraus, aber da sie während der vielen Jahre die Kirche, von der sie nur einen Steinwurf weit entfernt gewohnt hatte, nur wenige Male besucht hatte, wurden über diese Tatsache auch nicht viele Worte gewechselt.
Dennoch saß er einige Nachmittage in der Woche dort in seiner Ecke. Und stand zur Verfügung, wie gesagt. Vielleicht war er ja auch nur müde und musste sich ein wenig ausruhen, dachte sie manchmal.
Soweit es sie überhaupt berührte, störte es sie zumindest nicht.
Daneben machten sich nur noch die beiden Kinder und die unermüdliche Emmeline von Post die Mühe, sie zu besuchen.
Als sie vor der Verhandlung nachrechnete, kam sie zu dem Schluss, dass Mauritz dreimal zu Besuch gewesen war, Ruth
und Emmeline jeweils zweimal. An ihrem Geburtstag am 2. Dezember tauchten Mauritz und Ruth zusammen auf, mit einer Sachertorte und drei weißen Lilien, was sie aus irgendeinem Grund so absurd fand, dass sie sich das Lachen kaum verbeißen konnte.
Ansonsten bemühte sie sich wirklich — bei all diesen Besuchen – darum, freundlich und zuvorkommend aufzutreten, aber die Umstände führten doch oft dazu, dass die Besucher sich angespannt und fremd in der blassgelben Zelle fühlten. Vor allem mit Mauritz kam es ein paar Mal zu lauten Auseinandersetzungen über Bagatellen, aber etwas anderes hatte sie auch gar nicht erwartet.
Insgesamt bedeutete die Haftzeit – diese sechs Wochen in Erwartung der Verhandlung – dennoch eine Periode der Ruhe und Erholung, und als sie am Abend vor Verhandlungsbeginn zu Bett ging, fühlte sie zwar eine gewisse Unruhe vor dem Bevorstehenden, aber auch eine Ruhe und Gewissheit, dass ihre innere Stärke sie auch durch diese Schwierigkeiten tragen würde.
So, wie sie es bisher getan hatte.
Die Verhandlung begann an einem Dienstagnachmittag, und der Anwalt hatte versprochen, dass sie am Freitagabend zu Ende sein würde.
Soweit keine Komplikationen auftauchten, und es gab kaum einen Grund, diese zu erwarten.
Die ersten Stunden im Gerichtssaal waren jedoch von einer Umständlichkeit und einer Langsamkeit geprägt, die sie nur verwunderte. Sie war an einem länglichen Holztisch mit Seltersflasche, Pappbecher und Notizblock platziert worden. Zu ihrer Rechten saß der Anwalt und roch nach seinem üblichen Rasierwasser. Links befand sich eine jüngere, blaugekleidete Frau, deren Funktion ihr nicht so recht klar war. Sie fragte aber auch nicht danach.
Es war nicht einer der großen Gerichtssäle, das begriff sie jedenfalls. Er bot für eventuelle Zuhörer und Journalisten nur ungefähr zwanzig Plätze hinter einer braunen Schranke
im
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