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Muensters Fall - Roman

Muensters Fall - Roman

Titel: Muensters Fall - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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hintersten Teil des länglichen Raums. Aber zunächst, an diesem einleitenden Nachmittag, beschränkte sich die Zuhörerschaft sowieso nur auf sechs Personen: zwei dünnhaarige Journalisten sowie vier Frauen im sicheren Rentenalter. Sie war erleichtert, dass es nur so wenige waren, aber sie ahnte, dass mit der Zeit sicher mehr Menschen auf diesen hochlehnigen Stühlen sitzen würden. Wenn die Vorstellung erst richtig in Gang gekommen war.
    Ihr direkt gegenüber auf einem nur dezimeterhohen Podest thronte Richter Hart hinter einem breiten Tisch mit herabhängender Tischdecke, sodass man seine Füße nicht sehen konnte. Und einer Richterin nicht unters Kleid blicken konnte, fantasierte sie. Konnte ja sein. Ihr eigener Rechtssprecher jedenfalls war ein großer, breiter Kerl in den Sechzigern. Er erinnerte sie an einen alten französischen Schauspieler, auf dessen Namen sie aber nicht kam, so sehr sie sich auch anstrengte. Ihr war so, als würde er auf eaux enden.
    Rechts vom Richter saßen zwei weitere Rechtsdiener – junge, ordentlich gekämmte Männer mit Brille und tadellosen Anzügen – und links waren die Geschworenen.
    Am Anfang wurde die gesamte Zeit genau diesen sechs Geschworenen gewidmet, vier Männern und zwei Frauen, und soweit sie begriff, ging es um die Frage ihrer allgemeinen Unvoreingenommenheit und Unanfechtbarkeit in dem Prozess, der jetzt anstand.
    Nachdem alle gutgeheißen worden waren, erklärte der Richter die Verhandlung für eröffnet und überließ das Wort der Anklage, der Staatsanwältin Grootner, einer Frau in fortgeschrittenem mittleren Alter mit beigefarbenem Kostüm und einen Mund, der so breit war, dass er sich zeitweise noch ein Stück außerhalb des Gesichts fortzusetzen schien. Sie stellte sich vor ihren Tisch auf der anderen Seite des Mittelgangs, lehnte sich nach hinten, mit dem schweren Busen als Gegengewicht, und trug ihren Standpunkt ganze fünfundvierzig Minuten lang vor. Soweit Marie-Louise Leverkuhn verstand, mündete das Ganze darin, dass sie in der Nacht zwischen dem 25. und 26. Oktober
Waldemar vorsätzlich und in Besitz aller ihrer Sinne erschlagen haben sollte und dass die einzige Tatklassifizierung, die in Frage kam, Mord ersten Grades war. Worauf folglich auch die aktuelle Anklage lautete.
    Glaubt sie wirklich selbst, was sie da sagt?, wunderte Marie-Louise Leverkuhn sich im Stillen, aber es war schwer herauszufinden, was sich hinter den Worttiraden und der stromlinienförmigen Brille verbarg, wobei sich bei näherem Betrachten herausstellte, dass diese Brille genau den Amorbogen hatte, der den Lippen fehlte.
    Nach der Staatsanwältin hatte der Verteidiger das Wort. Bachmann erhob sich voller Würde, strich sich mehrere Male mit der rechten Hand über sein mahagonifarbenes Haar, woraufhin er erklärte, dass die Verteidigerseite die Anklage bestritt und stattdessen auf Totschlag bestand.
    Darüber sprach er danach mit vielen Worten und großem Nachdruck, fast genauso lange, wie die breitmäulige Staatsanwältin es getan hatte, und mehrere Male spürte Marie-Louise Leverkuhn, dass ihre Augen kurz davor waren, zuzufallen.
    Vielleicht hatte sie doch nicht so gut geschlafen letzte Nacht?
    Vielleicht war sie auch zu alt für das hier?
    Würde das Ganze nicht etwas schneller gehen, wenn sie sich des Mordes für schuldig erklärte?
     
    Als die Verhandlung um kurz nach vier Uhr vertagt wurde, hatte sie noch kein einziges Wort sagen müssen. Hatte auf keine Frage antworten müssen. Bachmann hatte ihr zwar erklärt, dass der erste Tag so aussehen würde, aber dennoch fühlte sie sich etwas verwirrt, als sie von der blaugekleideten Frau weggeführt wurde, die die ganze Zeit neben ihr gesessen hatte. Wie beim Zahnarzt oder im Krankenhaus, dachte sie mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung. Man ist die unumstrittene Hauptperson, aber man hat nicht das Recht, einen Pieps zu sagen.
    Aber so ging es anscheinend auch in der Gerichtsmaschinerie zu.

23
    »Einen längeren Schläger«, sagte Van Veeteren und griff sich an den Rücken. »Das ist verdammt noch mal genau das, was ich brauche. Ich begreife nicht, warum sie nicht so was erfinden.«
    »Und warum?«, fragte Münster.
    »Damit man sich nicht so verdammt weit nach den Stoppbällen bücken muss natürlich. Mein Rücken ist nicht mehr das, was er mal war ... und das ist er übrigens auch nie gewesen.«
    Münster dachte unter der Dusche über diese Worte der Weisheit nach, drehte und wendete sie. Zwar hatte er alle

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