MUH!
gekommen.»
Ich konnte es nicht fassen. Noch weniger konnte ich fassen, dass er keinerlei Anstalten machte aufzustehen.
«Champion?»
«Ja?»
«GEH ENDLICH VON MIR RUNTER!»
«Nicht so laut», bat Champion.
Bevor ich ihn in den Hintern beißen konnte, hörten wir von außen die Stimme des dicken Gesichtsbehaarten: «Da ist irgendetwas in dem Container.»
Ich blöde Kuh hatte uns verraten!
Der dünne Gesichtsbehaarte antwortete: «Dann müssen wir ihn öffnen.»
«Klingt blöderweise nach Arbeit.»
«Wenn es irgendwelche Ratten sind, geht die Ladung kaputt, und der Kapitän wird sauer auf uns sein.»
«Na, dann öffnen wir das Ding und werfen die Ratten ins Meer», seufzte der dicke Bärtige.
«Gut», wisperte Champion, «dass wir keine Ratten sind.» Dabei rutschte er endlich von meinem Gesicht.
«Ich befürchte», flüsterte ich zurück, «dass die da leider keinen großen Unterschied machen.»
Wir hielten beide ängstlich die Luft an. Die Türen des Containers wurden laut aufgerissen, und das Sonnenlicht blendete durch die Schwammköpfe hindurch. Wenn man so lange wie wir in der Dunkelheit gewesen war, dann tat schon ein leichter Strahl der Sonne in den Augen weh. Und den vielen Kuhfladen von Champion nach zu urteilen, waren wir hier schon einige Zeit drin gewesen.
Champion presste sich ängstlich in die hintere Ecke der Wand, um von den Menschen nicht entdeckt zu werden. Aber ich wusste genau, dass dies vergeblich war. Es gibt wohl kaum ein Tier auf der großen, weiten Welt, das fürs Verstecken ungeeigneter ist als eine Kuh.
Die beiden Gesichtsbehaarten betraten den Container und waren von dem Kuhfladen-Gestank angewidert. Der Dicke sagte: «Hier riecht es fast so schlimm wie in einer IC-Toilette.»
«Klempner bei der Bahn muss auch ein ziemlich doofer Beruf sein», antwortete der Dünne.
Sie kamen immer näher. Champion hielt die Luft an und zog dabei den Bauch ein, aber auch so etwas machte ihn nicht viel unsichtbarer. Innerhalb von wenigen Minuten hatten uns die beiden Männer entdeckt.
«Die beiden», staunte der dicke Gesichtsbehaarte, «sehen nicht aus wie Sponge-Bobs.»
«Ich hab dir doch gleich gesagt, ich hab hier drin was gehört!»
«Der Käpt’n wird uns killen.»
«Mann, jetzt wär ich doch gerne Klempner bei der Bahn.»
Die Menschen trieben uns fluchend aus dem Container. Die Sonne stand hoch am Himmel und blendete mich so sehr, dass ich durch meine zusammengekniffenen Augen erst mal nur funkelnde Sterne sah. Während ich mich blinzelnd an die Helligkeit gewöhnte, sagten die Menschen Dinge wie: «Hoffentlich hat der Käpt’n seine Antidepressiva genommen», «Und falls ja, nicht wieder mit Wodka» sowie «Schade, dass er nie eine Überdosis nimmt».
Als ich meine Augen wieder richtig öffnen konnte, verlor ich jegliches Interesse an ihrem Gespräch, denn was ich sah, überwältigte mich vollständig: Wir standen auf einem riesigen Schiff, dessen Boden leicht schwankte, über uns war strahlend blauer, wolkenloser Himmel und um uns herum überall wunderschönes blaues Wasser, auf dem das Licht tanzte und funkelte – das Meer. Es war so ganz anders, als ich gedacht hatte, überhaupt nicht gewaltig und böse, sondern einfach nur schön. Weil es so unendlich zu sein schien.
Als ich noch ein kleines Kalb war, hatte ich immer versucht, mir vorzustellen, wie groß wohl die unendliche Milch sein mochte, die in den Sagen beschrieben war. Aber nie hätte ich mir in meinem kleinen Kuhhirn ausmalen können, wie gewaltig die Unendlichkeit tatsächlich war. Das wunderschöne, leicht dahinplätschernde Wasser reichte bis zum Horizont, und hinter dem, so hatte es ja Giacomo gesungen, sollte es sogar noch weiter gehen. Bei diesem Anblick vergaß ich alles um mich herum, die Gefahr, die Kühe in dem anderen Container, sogar dass Champion nicht glücklich war, Papa zu werden. Mein Herz war von Ehrfurcht erfüllt: Die Erde war noch faszinierender, als ich je zu hoffen gewagt hatte, und ich war eine Kuh, die sie entdecken durfte. Dafür war ich dem Leben in diesem Augenblick zutiefst dankbar.
«Lolle», hörte ich Champion raunen. Es klang wie aus weiter Ferne, weil alle meine Sinne beim Meer waren, bei seinem Rauschen, seinem salzigen Geruch, seinem blauen Funkeln …
«Lolle, ich unterbrech dich ja nur ungern beim Blöden-durch-die-Gegend-Gaffen, aber es gibt da eine Kleinigkeit, die dich vielleicht beschäftigen sollte.»
«Welche?» Ich schenkte Champion kaum Aufmerksamkeit, war ich
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