MUH!
Kribbeln durchfuhr mich, ein bisschen so, als ob man seine Schnauze in den Elektrozaun hält, nur viel angenehmer und aufregender. Als wäre es das erste Mal, dass wir uns berührten. Und auf eine gewisse Art war es das ja auch: das erste Mal in der neuen Welt.
Der Dicke redete weiter: «So ein Arzt möchte man auch nicht sein, den ganzen Tag Därme aufpumpen und sich die dann auch noch anschauen.»
«Nö, das ist kein schöner Beruf», stimmte der andere ihm zu. «Aber wenn man eben nichts anderes gelernt hat, muss man halt so was machen.»
Die beiden Menschen machten nun mit einem Rums die Containertür zu. Plötzlich war alles stockfinster, man konnte nicht mal mehr seine eigenen Hufe vor den Augen sehen. Dafür hörten wir, wie sich die Schritte der Menschen wieder entfernten. Ich wagte kaum zu atmen, einerseits, weil ich Angst hatte, dass die Männer irgendwie noch auf uns aufmerksam würden, andererseits, weil mich die Berührung von Champion sehr durcheinanderbrachte. Meine Fellhaare standen vor lauter Aufregung ab. Seine auch, das spürte ich genau. Und es wühlte mich noch mehr auf.
Mit einem Mal hörten wir von oben ein lautes Knarzen und Poltern. Ich erschrak mich so sehr, dass ich aufmuhte. Mein Muhen wurde übertönt von Champions Muhen, und wir beide wurden glücklicherweise vom Rumpeln des Lastkrans übertönt, der sich den Container packte und ihn in die Luft hob. Die Kiste hatte den Erdboden verlassen, die Schwammköpfe flogen wild um uns herum, und ich flog ebenfalls … direkt auf Champion.
Ich lag auf ihm, Schnauze an Schnauze, Brust an Brust, Euter an … nun, lassen wir das.
Ich spürte seinen heißen Atem und er den meinen. Wenn vorher schon kribbelige Schauer durch meinen Körper jagten, war dies nun – in Dunkelheit und Lebensgefahr – die aufregendste Nähe, die man sich nur vorstellen konnte.
Die Kiste schwebte nun ruhiger durch die Luft, sodass man wieder sein eigenes Muhen verstehen konnte. Sanft hauchte Champion: «Ich bin froh, dass du nicht meine Schwester bist.»
«Warum?», hauchte ich leise zurück.
«Weil ich nicht so auf Inzucht stehe.»
Ich war so verwirrt, ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
«Ich …», erklärte er jetzt aufrichtig, «ich fühle mich irgendwie zu dir hingezogen. Auf eine vertraute, gute Art.»
Das klang schön.
«Viel mehr als zu Susi, das merke ich jetzt genau. Es ist, als ob wir zusammengehörten.»
Das klang noch viel schöner.
«Sag mir, sind wir beide Stier und Kuh?»
In einer fliegenden Kiste, zwischen all den Schwammköpfen, war der Augenblick der Wahrheit gekommen.
«Wir waren es», antwortete ich.
«Waren?», staunte Champion, «was ist uns dazwischengekommen?»
Die Kiste flog wieder hinab und begann dabei stark zu schwanken. Ich war kurz davor, von Champion herabzufallen, aber er hielt mich mit seinen starken Armen und Beinen fest auf sich gedrückt.
«Was ziemlich Blödes», antwortete ich.
«War ich das ziemlich Blöde?», fragte er vorsichtig.
Ich widersprach nicht.
«Das tut mir leid», sagte er leise.
«Und mir erst», antwortete ich traurig.
«Kannst du mir verzeihen, was immer ich auch getan habe?», fragte er mit lieben Augen.
Wenn ich ihm jetzt verzeihen würde, so viel war klar, würden wir uns sicherlich sofort und auf der Stelle leidenschaftlich mit den Zungen abschlabbern. Alles würde gut werden, ich könnte doch mein Glück finden und mit ihm ein Leben führen wie die Eintagsfliegen Summ und Herum.
Andererseits: Wer würde mir garantieren, dass Champion nicht bei nächster Gelegenheit etwas mit Susi anfängt und er mir noch mal das Herz bricht? Wiederum andererseits: Sollte ich nicht alles dafür tun, dieses Misstrauen zu überwinden, nicht nur, weil ich ein Kalb von ihm erwartete, sondern auch, weil noch nie jemand glücklich wurde, der in der Liebe misstrauisch war? Wiederum wiederum andererseits: Wie würde Champion darauf reagieren, wenn er von dem Kalb erführe? Würde er vor Vaterfreuden muhen? Oder vor der Verantwortung fliehen?
In diesem Moment begann Champion, mich liebevoll mit seiner Zunge abzuschlabbern. Es war so aufregend, dass ich alle Wiederum-Fragen vergaß. Ich drückte meine Schnauze auf die seine, steckte meine lange Zunge ganz heraus und verknotete sie leidenschaftlich mit der seinen. Er verknotete seine Zunge ebenfalls mit der meinen. So wild und liebend hatten wir uns noch nie zuvor verknotet. Ja, so eine lebensgefährliche Situation lässt einen viel, viel
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