MUH!
und meinte: «Irgendetwas in mir sagt, dass ich eigentlich diese Herde anführen müsste …»
«Dann hör nicht darauf», schnitt Hilde ihm energisch das Wort ab, und er war davon so verunsichert, dass er auf sein «Irgendetwas in ihm» tatsächlich auch nicht mehr hörte. Keiner musste mehr was sagen, es war klar: Ich hatte meinen Platz an der Spitze der Herde verloren. Und was noch sehr viel schlimmer war, mit Hilde auch eine Freundin.
Kapitel 39
Ich verkroch mich in meine Ecke. Sollte Hilde doch die Dinge regeln, wenn sie es unbedingt wollte, wer brauchte schon die Last der Verantwortung für die anderen? Ich würde mich ab jetzt nur noch um mich und mein Kleines kümmern, jawohl! Ich sprach zu dem Kalb in meinem Leib: «Mami wird auf dich aufpassen, du Putzischnutzirutsch.»
Susi kommentierte das mit: «Wenn du dem Kalb noch einen blöderen Spitznamen geben willst, musst du es schon Pipipups nennen.»
Meine Augen funkelten sie böse an, und sie war so verdammt schlau, ihren Mund zu halten. Dann sang ich mein Kalb leise in den Schlaf: «Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht, mit Nägeln bedeckt, schlupf unter das Stroh. Morgen früh, wenn Naia will, bist du wieder froh.»
Natürlich ging es nicht darum, das ungeborene Kalb in den Schlaf zu singen – vermutlich konnte es noch gar nicht hören –, sondern darum, mich selbst zu beruhigen, war ich doch viel zu aufgewühlt, um einfach so einzuschlafen. Ich legte meine Hufe auf meinen Bauch, und mit einem Mal spürte ich in mir ein leises Klopfen. Schlagartig hörte ich auf zu singen.
Susi ätzte: «Noch ein einziges ‹Guten Abend, gute Nacht›, und ich hätte mit den Nägeln noch was ganz anderes gemacht, als sie nur damit zu bedecken.»
Aber ich hörte nicht auf sie: Denn das leise Klopfen, das ich nicht hörte, aber fühlte, war der Herzschlag meines Kalbes.
Jetzt lebte es richtig.
Wellen des Glücks durchströmten meinen Körper.
Gefolgt von einem schrecklichen Schauder.
Denn dieses Herzklopfen bedeutete auch: Bald würde ich Old Dog wieder begegnen.
Kapitel 40
Bei Sonnenaufgang kreisten immer mehr Möwen über dem Schiff. Die Herde schlief noch, und ich fragte mich, wie schon die ganze, fast komplett durchwachte Nacht, ob ich nicht vielleicht wirklich auf ewig auf dem Schiff bleiben und so Old Dog entgehen könnte. Auf der anderen Seite: Wovor hatte ich eigentlich solche Angst? Der Hund hatte zwar angekündigt, dass er mich töten wollte, wenn mein Kalb in meinem Bauch richtig zu leben begann, aber er würde uns doch nicht quer über das große Wasser folgen können. Oder?
Während ich vergeblich versuchte, mich zu beruhigen, tänzelte Giacomo auf der Reling auf mich zu und rief: «Lande in Sicht!» Dann blickte er mich an und schmunzelte: «Das wollte ich schon immer mal rufe …»
Ich schmunzelte nicht zurück.
«Du biste nicht sehr gesprächig heute Morgen», lächelte Giacomo.
Ich antwortete nicht.
«Ich nehme das mal als eine Ja.»
Ich antwortete wieder nicht.
«Und das als eine Bestätigung, dass ich das nehme könne als eine Ja.»
Obwohl ich schwieg, war ich irgendwie froh, dass der Kater bei mir war. Wenn man Angst hat, gibt es nun mal nichts Besseres, um sich davon abzulenken, als Wut. Und auf niemanden war ich in diesem Augenblick wütender als auf Giacomo. Nicht auf Hilde. Nicht auf Radieschen. Nicht mal auf Champion. Und Susi war schon fast völlig aus dem Wut-Rennen raus – bis vor kurzem hätte ich mir nicht vorstellen können, dass sie bei so einem Rennen mal weit abgeschlagen hinter den anderen liegen könnte. Es war nun mal Giacomos Fehler gewesen, dass wir auf dem falschen Schiff gelandet waren und ich mich deswegen mit meiner Herde zerstritten hatte. Doch der Kater zeigte noch nicht einmal den Ansatz eines schlechten Gewissens. Ganz im Gegenteil, er war aufgekratzt, rannte hibbelig auf der Reling hin und her, als ob er darauf brannte, endlich nach New York zu kommen. Als ob ihn dort etwas erwartete … und mit einem Mal kam mir ein schrecklicher Verdacht.
«Sag mal, Giacomo», fragte ich ihn, «kann es sein, dass es gar kein Zufall ist, dass wir nach New York fahren?»
«Wie komme du denn daraufe?», fragte er unsicher.
«Nun, dass du dich so freust, ist merkwürdig. Und dass du gerade ertappt dreinblickst, spricht auch nicht gerade gegen meine Vermutung.»
Giacomo blickte noch ertappter drein.
«Und dieser Blick bestätigt meine Vermutung.»
Giacomo seufzte und gestand: «Du habe recht. Ich habe mit Absicht
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