MUH!
blickte sie verschämt auf ihre Hufe.
«Jetzt sag bloß», schimpfte der Wurm, «du hast dir dabei gar nichts gedacht?!?»
Naia erwiderte erneut: «Nun … ähem …», und die Tiere begannen wie wild durcheinanderzuschimpfen. Naia sah dabei die Angst vor dem Tod in ihren Augen und zog sich zurück. Sie lag die ganze Nacht wach und beschloss schließlich, ein Reich zu erschaffen, das noch schöner war als die Erde und in das die Tiere gelangen würden, wenn sie einst sterben müssten. Ein Himmelreich, in dem für die Kühe die Weiden immer saftig wären und für die Regenwürmer die Böden immer nass und feucht. Nachdem Naia dieses Himmelreich errichtet hatte, berichtete sie den Tieren davon, und diese jubilierten: «Jetzt müssen wir keine Furcht mehr vor dem Tod haben!»
Naia war zufrieden und machte wieder Liebe mit Hurlo. Stundenlang, tagelang, vollmondelang. Bis sie sich arg wunderte, warum immer weniger Tiere auf der Welt herumtollten. Sie ließ Hurlo sich ausruhen, um neue Kräfte zu sammeln – er war bei weitem nicht so ausdauernd wie sie im Liebesspiel –, und fragte den Regenwurm, wohin all die Tiere verschwunden waren. Der Regenwurm erklärte kleinlaut: «Die Tiere verüben alle den Freitod.»
«Weshalb?», wollte Naia nun entsetzt wissen.
Der Regenwurm druckste, bis Naia ihn wütend durch ihre göttlichen Nüstern anschnaubte, und so reckte er sich zitternd zu der Gotteskuh hoch und verriet: «Die Tiere denken sich: Wenn es im Himmelreich so viel schöner ist, warum soll ich noch meine Zeit auf Erden verschwenden?»
Naia war bass erstaunt, so hatte sie sich das nicht ausgemalt. Sie überlegte und überlegte die ganze Nacht hindurch, und dann versammelte sie bei Morgengrauen sämtliche noch lebenden Tiere vor sich und verkündete: «Vielleicht war das mit dem Himmelreich nur ein Scherz von mir.»
Die Tiere waren daraufhin zutiefst erschrocken.
«Vielleicht», so sprach Naia weiter, «aber auch nicht.»
Nun waren alle Lebewesen auf Erden zutiefst verunsichert. Und die listige Naia gab ihnen noch einen Rat: «Ihr solltet euch genau überlegen, ob ihr eurem Leben vor der Zeit ein Ende setzen wollt oder nicht.»
Fortan traute sich dies kein Tier mehr. Alle hofften zwar auf Naias Güte, aber ganz sicher konnten sie sich nie mehr sein, ob das Himmelreich auch wirklich existierte.
Mit einem Mal ballerten Knallstäbe, und ich riss die Augen wieder auf. Links und rechts neben mir sanken meine Freundinnen zu Boden, sie waren offensichtlich von den Knallstäben getroffen worden, die von Menschen – deren Kleidung Ähnlichkeit hatte mit denen der Zollbeamten – auf uns gerichtet wurden. Old Dog ließ sich von diesen entschlossen wirkenden Männern, die von den Menschen mit den Handys «Cops» genannt wurden, kein bisschen beeindrucken oder auch nur ablenken. Er bleckte seine Lefzen und sprang mit einem gewaltigen Satz auf mich zu, um mich zu reißen.
Doch mitten im Flug donnerte wieder ein Knallstab: Der Hund wurde in der Luft getroffen und fiel vor meine Hufe. Das hätte mich erleichtern können, wenn nicht schon wieder ein Knallstab abgefeuert worden wäre, diesmal direkt auf mich. Etwas traf meinen Hals. Ich verspürte einen stechenden Schmerz, aber mein Fleisch wurde nicht, wie ich eigentlich befürchtet hatte, zerfetzt. Ich wurde einfach nur müde, unfassbar müde. Ich konnte mich nicht mehr auf meinen Beinen halten und stürzte auf den steinigen Boden. Meine Augen fielen wieder zu, und ich hörte: «Whao, die Polizisten können echt gut schießen.»
Es war der dünne Gesichtsbehaarte.
«Polizist ist sicher auch ein guter Job», fand der Dicke, «wenn nur nicht die Verbrecher wären …»
Der Vorletzte, dessen Worte ich vernahm, war der Käpt’n: «Ich kann nur hoffen, dass die Cops nicht schießen, wenn ich ihnen gleich Geld anbiete, um die Kühe zu befreien.»
Das Letzte, was ich hörte, war Old Dog, der mir mit letzter Kraft zuraunte: «Noch einmal werden dir die Menschen nicht helfen. Ich werde dich töten. Und ich werde zu dir kommen, wenn du am glücklichsten bist!»
Kapitel 44
«Tschirp, tschirp …»
… hörte ich, als ich wieder zu Bewusstsein kam.
«Tschirp, tschirp …»
Ich war noch viel zu alle, um meine Augen zu öffnen.
«Tschirp, tschirp.»
Und ich fragte mich: «Tschirp? Wieso tschirp?»
«Tschirp, tschirp, tschirp», kam es, fast so, als ob es eine Antwort auf meine unausgesprochene Frage wäre. Es war eindeutig Vogelzwitschern, was verblüffend war, denn bevor ich
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