Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Unterschied ans Licht. Wir können ihn vorläufig so formulieren: Die Verbindung IST oder SIND, BIN oder SEID (die sogenannte â¹Kopulaâº) hat im Türkischen viel weniger Gewicht, ja sie kann auch ganz verschwinden. Wir werden später sehen, dass genau dieses Weglassen im Kiezdeutsch (ehemals â¹Türkenslangâº) eine groÃe Bedeutung erlangt. Sehen wir uns dies erst einmal genauer an:
Das Türkische weist drei Tendenzen auf, die im Vergleich mit dem Deutschen die Kopula IST/SIND vor dem Prädikat schwächen oder ganz aussetzen.
Die erste Tendenz ergibt sich zwanglos aus dem agglutinierenden Prinzip: Die Kopula kommt in einem vielsilbigen Wort immer erst an letzter Stelle: sinemada- dır â¹er ist im Kinoâº, o güzel dir â¹sie ist schönâº, Afganistanda dır â¹er ist in Afghanistan⺠â d.h. sie ist schon akustisch und im Schriftbild nicht besonders präsent. Sie neigt auch im gesprochenen Satz dazu, reduziert und abgeschliffen zu werden. Im Prinzip wird sie eher intuitiv mitverstanden als wirklich ausformuliert . Auch hierzu trägt die erwähnte Vokalharmonie ihr Stücklein bei: Wenn alles irgendwie ähnlich klingt, kann man die letzte Silbe auch schon mal vernuscheln oder verschlucken.
Und dies ist â zweite Tendenz â tatsächlich in vielen türkischen Konstruktionen der Fall: Oft wird IST in Minisätzen gleich ganz weggelassen, und zwar mit voller Absicht. Weil für IST/SIND im Satz nichts da ist, sprechen die Linguisten hier etwas umständlich von einem sogenannten â¹Null-Morphemâº, also von einer Silbe, die gar nicht da ist ( _ ), aber trotzdem mitverstanden wird: Ali burada_ â¹Ali _ hier⺠= â¹Ali ist hierâº; kahve tatlı_ â¹der Kaffee ist süÃâº; bizikletim bozuk _ â¹mein Fahrrad ist kaputtâº; ben Suzan Akman _ â¹ich heiÃe/bin Suzan Akmanâº; fiyatlar çok yüksek _ â¹die Preise sind sehr hochâº, Ãlkü evde deÄil _ â¹Ãlkü ist nicht zuhauseâº. Und noch kleinere, unpersönliche Sätze verzichten ebenfalls auf das IST: Es ist heià heiÃt hava sıcak â¹Wetter heiÃâº, oder einfach sıcak â¹heiÃâº. Alle diese Formen mögen ursprünglich aus der Sprechsprache stammen, sind aber auch im schriftlichen Standard vollkommen korrekt.
Und ein drittes Feld kommt schlieÃlich hinzu: Wenn man etwas nur vom Hörensagen weiÃ, fehlt in der 3. Person ebenfalls der IST-Ausdruck: Hasan gelmiÅ _ â¹Hasan _ gekommen⺠= â¹Hasan soll gekommen sein (sagt man)âº; und nicht: * gelmiÅtir , was heiÃen würde: â¹ich weià es ganz genau, dass er gekommen ist; ich habe es selbst gesehen âº. Viele Formen werden ganz regelmäÃig so gebildet: almıÅ_ â¹soll etwas gekauft habenâº, unutmuÅ _ â¹hatâs wohl vergessen⺠usw. Daraus folgt für das grundständige türkische Sprachgefühl, dass die Kopula IST nicht etwas unbedingt Notwendiges ist und dass ihr Fehlen andererseits auch gut für Spezialeffekte ausgenutzt werden kann.
Kein Ausdruck für «haben»
Das Türkische hat auch keinen Ausdruck für ETWAS HABEN, wie die Europäer und die Deutschen es von ihren Sprachen kennen: englisch I have a dream ; franz. Jâai un ami. Etwas haben oder besitzen wird türkisch auf die â¹orientalische⺠Weise ausgedrückt: BEI MIR (IST) ETWAS. Das kann man auch eine â¹lokativische⺠Ausdrucksweise nennen, weil nur der Ort des Besitzers genannt wird, aber nicht die Relation ETWAS HABEN. Auch dies ist etwas ganz Uneuropäisches und muss sich beim Sprachkontakt mit europäischen Sprachen auswirken, und sei es nur dadurch, dass die â¹deutsche⺠Ausdrucksweise für sich erst einmal geschwächt wird. Türkisch HABEN sieht im einzelnen so aus:
â Bende para var . BEI MIR GELD ES-GIBT = â¹Ich habe Geld.âº
â Aliânin kız arkadaÅı var . ALI-DES MÃDCHEN-FREUND-SEIN ES-GIBT = â¹Ali hat eine Freundin.âº
â ArkadaÅımında çok vakti var . â¹Mein Freund hat viel Zeit.âº
In der negativen Variante wird yok â¹es gibt nicht⺠verwendet:
â Benim sözlÃ¼Ä Ã¼m yok . â¹Ich habe kein Wörterbuch.âº
Das Modell mit var â¹es gibt⺠und yok â¹es gibt nicht⺠â sogenannte â¹Existenzausdrücke⺠â
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