Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
sprecht
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10. Existenzsetzer
für groÃe Familie es haben keine Wohnung
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+Â Â Â
11. Deflexion (Abbau von Endungen)
in eine_ Woche
Meer von meine_ Stadt
50 Kilometer
jede Woche andere_ Brief
schicken; vor fünf Jahre_
mit deutsche_ Kind auch sprechen
drei Wohnunge_ gewechselt
ich will nix mein_ Arbeit lassen
ich habe gute_ Kontakt
ich hab noch nie im Leben so
ein_ schön_ Urlaub gemach_
für unse_ Geld
hat geschick_ ein Brief
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12. Modell â¹machen + X⺠statt Vollverb
machen Unfall
dann ich habe Antrag gemacht
hat die Erwähnung gemacht
+Â Â Â
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13. Austausch von Präpositionen
wann kommen in Deutschland
wann man geht in Polizei
hab ich Antrag gemacht
bei Bürgermeister
wenn wir komme bei
unsere Kinder
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14. Ausfall des Geschlechts
meine Bruder ihre Kinder
+Â Â Â
â  Â
Dies ist der harte Kern, der in den GAD-Texten ziemlich regelmäÃig wiederkehrt. Entnommen ist er verschrifteten Tonaufnahmen aus den 1970er Jahren. Die â¹spektakulären⺠Züge des GAD â wie der immer wieder angeführte Ausfall des Artikels â verdecken oft, dass von einem einigermaÃen berechenbaren Kasusgebrauch gar nicht die Rede sein kann. Die vier Fälle des Deutschen werden nicht reduziert, sondern gar nicht beachtet. Es liegt eigentlich auch kein Abbau der Deklination vor, sondern gar keine Deklination: Es gibt im GAD nicht etwas, was man unter einem solchen Begriff fassen könnte. Ständig verrutschte Fälle machen noch keine Deklination. Man muss sich hier auch daran erinnern, dass kein Pidgin so etwas wie eine Deklination besitzt. Aus diesem Grund ist auch die Auflösung von Ãbereinstimmung (â¹Kongruenzâº), oder besser: die Nichtübereinstimmung von zusammengehörigen Satzteilen ( von meine Schwester ), nicht etwa eine überraschende Ausnahme, sondern der vorhersagbare Regelfall . Die Erosion der Endungen ist bereits voll ausgeprägt. Eine grammatische Ãbereinstimmung der Endungen würde nur stören; ihre ständige Planung nur den Redefluss und die Kommunikation beeinträchtigen. Deutlich kann man das an einem noch nirgendwo beschriebenen Phänomen erkennen: der regelmäÃigen, eine grammatische Ãbereinstimmung absichtlich meidenden ÃuÃerung von Sätzen wie mein Firma, meine Kind oder von meine Mann . Die Vermeidung, die gezielte Aussetzung der Kongruenz wird zu einem regierenden Prinzip des GAD.
Logisch legt das drei wichtige Dinge nahe â alles Fälle für die Psycho- und Neurolinguistik:
Es gibt im migrantischen Sprachwissen irgendwo eine dunkle, unbewusste Spur der â¹richtigen⺠Formen, die aber nicht an die Oberfläche der ÃuÃerung dringt oder dringen soll.
Eine eventuell mögliche Ãbereinstimmung grammatischer Formen (â¹Kongruenzâº) wird unbewusst gemieden , weil sie im Bewusstsein der Gastarbeiter und für den GAD-Code ein falsches Signal wäre (und keine Aussicht auf Stabilität hat).
Der Energiegewinn durch die Vermeidung der Ãbereinstimmung muss erheblich sein und die Nachteile eines â¹falschen Deutsch⺠mehr als wettmachen.
Gastarbeiterdeutsch ist demnach geprägt von einer radikalen Vereinfachung grundständiger Grammatik, die ihrerseits in kurzenFragmenten geschieht. Wenn man durch die Texte geht, hat man den Eindruck, dass das jugoslavische GAD insgesamt weniger reduziert ist, also â¹näher⺠am Standarddeutschen ist. Es ist ja auch vom gleichen Sprachtypus und hat historische Verbindungen zum Deutschen. Andererseits bedeutet das: Je weiter die Sprachtypen auseinander liegen, desto radikaler fallen offenbar die Vereinfachungen aus.
Die Reduktionen betreffen vor allem den exakten Gebrauch der Fälle und der Zeiten, das Geschlecht und Einzahl/Mehrzahl. Immer werden die komplizierten Endungen angegriffen, weil sie das Gehirn belasten, Sprechenergie fressen und für das Verständnis nicht unbedingt notwendig sind. (Eigentlich kein Wunder, dass Weltsprachen wie Englisch oder Chinesisch extrem wenig Grammatik haben). Oft treten Reduktionen gemeinsam auf, und es ist schwer zu entscheiden, welchem Typ Reduktion man einen Satz zuordnen soll. Auf der Folie der Bezugssprache (hier: Deutsch) ist der alles bestimmende Zug die Aufhebung von Ãbereinstimmung zwischen den Satzteilen
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