Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
noch den richtigen Kasus. Die meisten Migrantensprachen haben aber gar keinen Artikel (Türkisch, Russisch, Polnisch) oder aber nur einen einzigen Allzweckartikel (Arabisch). Was ist die Folge? Migranten neigen zuallererst dazu, den Artikel einfach wegzulassen, weil sie so auch um das richtige Geschlecht, den richtigen Kasus und um Singular/Plural herumkommen, also drei Fliegen mit einer Klappe schlagen können (â¹negative Interferenzâº).
Da das aber nicht immer funktioniert, gibt es auch die Tendenz, sich auf eine Allzweckform zu verständigen, die eben oft passt oder nicht allzu falsch ist. Das ist der ( der Klientel ) und eine ( eine Steak mit KräutersoÃe ) im Singular. Praktisch ist da, dass es im Plural ohnehin immer die heiÃt. Migranten gebrauchen den Artikel kurioserweise oft überkreuz und das mit einer gewissen Methode: Sie lassen ihn weg, wenn er stehen müsste, und setzen ihn, wenn er nicht stehen darf:
â Ã Stiefel haben nur 29,90 gekostet.
â Bei diesem Regenwetter brauchst du in jedem Fall die Stiefel (und keine Halbschuhe).
Das mehrsprachige Gehirn (z.B. von Migranten) versucht offenbar, um den exakten Kasus herumzukommen, weil es instinktiv sicher weiÃ, dass ein richtiger Kasus für das Verständnis nicht lebensnotwendig ist (das Englische im Hinterkopf). Deshalb werden nicht nur die Kasus selbst verwechselt, sondern auch die Rektion nach Verben:
â sich einer Untersuchung unterziehen sich eine Untersuchung unterziehen oder nach Präpositionen:
â mit diese m Problem mit diese n Problem.
Das ist eben auch ökonomischer.
2. Der grammatische Akzent von Migranten beginnt praktisch beim Kasus, er greift dort zuallererst an, von hier geht alles aus. Es ist nicht zu weit gegriffen, wenn man vermutet, dass die unübersehbaren neudeutschen Schwankungen im Kasusgebrauch (Sick 2004) zumindest eine bedeutende Quelle im Migrantendeutsch haben. Es ist für viele Migranten viel zu aufwendig, das komplexe deutsche System der richtigen Kasus einzuüben, wenn es fast niemand aus der Umgebung mehr richtig anwendet (ob Migrant oder Deutscher) und es für viele nur noch lebloses Schriftdeutsch ist.
Kein Migrant gebraucht die Fälle und die Endungen streng nach den Regeln des Hochdeutschen. Sie werden für die Bedürfnisse der mehrsprachigen Alltagskommunikation reduziert und sehr flexibel gehandhabt. So kommen die unübersehbaren Muster zustande wie:
â er hat es ihn versprochen; eine Party mit den Nachbar ; eine Steak mit Pilze ; er hat dem Vogel geschossen; sie stellt den Stuhl in der Ecke etc. etc.
3. Kein Migrant würde ohne Not den starken Konjunktiv gebrauchen: â er liefe, er zöge, sie schriebe, er äÃe etc. Wenn überhaupt Konjunktiv, dann den zergliederten: er würde laufen, sie würde schreiben etc. Ein ähnliches Schicksal kann man für das Plusquamperfekt annehmen oder für Futur II â Kategorien, die fast nur noch in den Grammatiken ihr Leben fristen. Auch wenn diese Formen überall aus der Mode kommen, ist es aber doch manchmal nötig, etwas â¹konjunktivisch⺠oder ähnlich auszudrücken. Dann werden zu kompliziert erscheinende Kategorien vereinfacht, oft um den Preis (oder: den Gewinn), dass Teile der Bedeutung einfach dem Kontext überlassen werden und unausgedrückt bleiben.
Statt Konjunktiv
â Hätte er mir Bescheid gesagt , ⦠hört man immer öfter Indikativ:
â Hatte er mir Bescheid gesagt , â¦;
Oder umgekehrt: Statt
â dass die Soldaten die Lage nicht mehr übersehen konnten hört man oft
â dass die Soldaten die Lage nicht mehr übersehen könnten .
Statt Plusquamperfekt oder Futur II hört man immer öfter Perfekt oder einfache Gegenwart:
â ? Ich hatte ihm das Geld gegeben, bevor du ihn getroffen hast .
â Ich habe ihm das Geld gegeben, bevor du ihn getroffen hast.
â ?Vor Weihnachten werde ich die Reise nach Bosnien schon gemacht haben .
â Vor Weihnachten habe ich die Reise nach Bosnien dann schon gemacht.
4. SchlieÃlich baut sich (unter dem massiven Einfluss des Englischen) im Neudeutschen auch die Endstellung des Verbs in Nebensätzenab â die es in keiner Migrantensprache gibt und den Migranten seltsam unlogisch und â¹unerlernbar⺠vorkommt. Alle Migranten ziehen das Verb weiter nach links.
â Dies ist Zaim, der einen Briefwechsel über das Thema geführt hat
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