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Mummenschanz

Mummenschanz

Titel: Mummenschanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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ihre Wangen zeigten immer herrliche Blässe statt eines peinlich roten Glanzes. Perdita wollte eine interessante verlorene Seele sein, mit pflaumenfarbenem Lippenstift. Gelegentlich argwöhnte Agnes, daß Perdita ebenso dumm und närrisch war wie sie selbst.
    Boten die Hexen die einzige Alternative? Agnes spürte ihr Interesse auf eine Weise, die sie nicht ganz verstand. Ähnlich erging es ihr, wenn sie sich beobachtet fühlte, obwohl sie niemanden sah. Allerdings hatte sie einmal gesehen, wie Nanny Ogg sie auf eine kritische Art musterte, wie jemand, der ein Pferd aus zweiter Hand einzuschätzen versuchte.
    Sie ahnte, daß sie zumindest über etwas Talent verfügte. Manchmal wußte sie schon im voraus, was gleich passieren würde, doch meistens blieb alles so verworren, daß sie mit ihrem Wissen nichts anfangen konnte, bis die betreffenden Dinge geschehen waren. Und dann diese Stimme. Eine solche Stimme durfte sicher nicht normal genannt werden. Agnes hatte immer gern gesungen, und irgendwie verhielt sich ihre Stimme dabei genau so, wie sie es wollte.
    Sie hatte einen Eindruck von der Lebensweise der Hexen gewonnen. Oh, an Nanny Ogg gab es soweit nichts auszusetzen. Sie war im großen und ganzen eine nette Alte. Aber die anderen fand Agnes sonderbar. Sie lagen quer auf der Welt anstatt parallel zu ihr, wie alle anderen. Zum Beispiel Mütterchen Dismass: Sie sah in die Vergangenheit und in die Zukunft, aber in der Gegenwart war sie völlig blind. Und Millie Hüftschwung drüben in Schnitte, die stotterte und der dauernd etwas aus den Ohren tropfte. Und Oma Wetterwachs…
    Oh, ja. War es wünschenswert, eine verdrießliche alte Frau ohne Freunde zu sein?
    Sie suchten immer nach seltsamen Leuten, die ihnen ähnelten.
    Nun, bei Agnes Nitt würde ihre Suche erfolglos bleiben.
    Sie hatte genug von Lancre und von Hexen und davon, Agnes Nitt zu sein. Deshalb… floh sie.
     
    Nanny Ogg schien nicht dafür geeignet zu sein, schnell zu laufen, doch diesmal raste sie regelrecht über den Pfad. Ihre großen, schweren Stiefel wirbelten welkes Laub auf.
    Am Himmel erklang bereits vertrautes Tröten. Ein weiterer Schwarm Wildgänse flog hoch über den Baumwipfeln, so sehr bestrebt, dem entschwindenden Sommer zu folgen, daß sich in der ballistischen Hast ihre Flügel kaum bewegten.
    Die Hütte von Oma Wetterwachs wirkte verlassen und leer auf Nanny.
    Sie sprintete zur Hintertür, sprang über die Schwelle, rannte die Treppe hoch, sah eine dürre Gestalt auf dem Bett, gelangte zu einem ganz bestimmten Schluß, nahm die mit kaltem Wasser gefüllte Karaffe vom marmornen Waschgestell, trat vor…
    Eine Hand zuckte nach oben und hielt sie am Unterarm fest.
    »Ich habe nur ein Nickerchen gemacht«, sagte Oma Wetterwachs und öffnete die Augen. »Ich schwöre dir, Gytha: Ich konnte dich schon in einer Entfernung von mehr als einem halben Kilometer hören…«
    »Wir müssen rasch eine Tasse Tee kochen!« stieß Nanny hervor. Erleichterung durchströmte sie.
    Oma Wetterwachs war mehr als nur intelligent genug, keine Fragen zu stellen.
    Doch das Zubereiten von Tee nahm gewisse Zeit in Anspruch. Nanny Ogg trat von einem Bein aufs andere, während Oma das Feuer entfachte, kleine Frösche aus dem Wassereimer entfernte und das Wasser kochte. Danach mußte der Tee ziehen.
    »Ich sage nichts«, sagte Nanny und setzte sich schließlich. »Nur dies: Schenk eine Tasse ein.«
    Normalerweise hielten Hexen nichts davon, aus Teeblättern die Zukunft zu lesen. Teeblätter hatten das Wissen um die Zukunft nicht für sich gepachtet. Eigentlich boten sie nur dem Blick einen Halt, während der Geist die Arbeit erledigte. Auch andere Dinge konnten diesen Zweck erfüllen. Die Haut eines Puddings, Muster in verrührter Creme und so weiter. Nanny Ogg war in der Lage, Bilder der Zukunft im Bierschaum am Rand eines Krugs zu erkennen. Sie berichteten ihr, daß sie gleich ein erfrischendes Bier genießen durfte, noch dazu gratis.
    »Erinnerst du dich an die junge Agnes Nitt?« fragte Nanny, als Oma Wetterwachs nach der Milch suchte.
    Oma zögerte.
    »Meinst du die Agnes, die sich Perditax nennt?«
    »Perdita X«, berichtigte Nanny. Sie respektierte den Wunsch junger Frauen, sich eine neue Identität zuzulegen.
    Oma zuckte mit den Achseln. »Dick. Aufgetürmtes Haar. Geht mit gespreizten Füßen. Singt im Wald. Gute Stimme. Liest Bücher. Sagt ›verflixt‹, anstatt zu fluchen. Errötet oft, wenn man sie ansieht. Trägt schwarze Spitzenhandschuhe mit

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