Mummenschanz
jetzt zum erstenmal sahen, auf Anhieb glaubten. »Hier gibt’s gewisse Schwierigkeiten, wie?«
Sie sah sich um und blickte ebenfalls zur Decke empor. Es roch nach verbrannten Nudeln.
»Ah«, sagte Nanny. »Hier wird das spezielle Essen für Señor Basilica zubereitet, nicht wahr?«
»Es sollte hier zubereitet werden«, erwiderte Frau Kluppe. Sie setzte den Besen wie eine Lanze ein, verfehlte jedoch das arme Geschöpf an der Decke. »Das verfluchte Ding will einfach nicht in den Topf!«
Andere Töpfe standen auf dem großen Herd. In ihnen blubberte es. Nanny nickte in ihre Richtung. »Was kommt für die übrigen Leute auf den Tisch?«
»Gebratene Hammelkeule mit gefüllten Mehlklößen«, sagte die Köchin.
»Ah, herzhaftes, gesundes Essen«, sagte Nanny und bezog sich dabei auf Töpfe, die jeden freien Platz in der Küche einnahmen und hauptsächlich Talg und Fett enthielten.
»Und zum Nachtisch soll’s leckeren Pudding geben, und ich habe noch nicht einmal damit angefangen, weil sich das gräßliche Ding da oben an der Decke festhält, anstatt im Topf zu garen.«
Nanny nahm der Köchin behutsam den Besen aus der Hand. »Ich schlage vor, du sorgst dafür, daß fünf Personen genug Hammelfleisch und Klöße bekommen. Solange du damit beschäftigt bist, kümmere ich mich um den Pudding, einverstanden?«
»Oh, das ist sehr nett von dir, Frau…«
»Ogg.«
»Die Marmelade ist in dem Schrank dort drüben…«
»Oh, wir brauchen keine Marmelade«, erwiderte Nanny. Sie sah zum Gewürzbord, lächelte, trat diskret hinter einen Tisch…
Twingtwangtwongtwang…
»Hast du Schokolade?« fragte sie und hielt ein dünnes Buch in der Hand. »Ich kenne da ein Rezept, das für etwas Spaß sorgen könnte…«
Sie befeuchtete ihren Daumen und öffnete das Buch auf Seite dreiundfünfzig. Schokoladenentzücken mit spezieller Spezialsoße.
Ja, dachte Nanny. Das gibt garantiert Spaß.
Wenn bestimmte Leute glaubten, anderen Leuten Lektionen erteilen zu müssen, so sollten die bestimmten Leute daran denken, daß die anderen Leute das eine oder andere über Leute wußten.
Fragmente von Gesprächen krochen um Agnes aus den Wänden, als sie über die Stufen der vergessenen Treppe trat.
Es war… aufregend.
Niemand sagte etwas Wichtiges. Niemand gestand geheime Schuld oder dergleichen. Es waren nur die Geräusche von Menschen, die mit der üblichen Tagesroutine befaßt waren. Doch sie kamen aus einer anderen Welt.
Natürlich war es falsch, ihnen zu lauschen.
Während ihrer Kindheit und Jugend hatte Agnes von vielen falschen Dingen erfahren. Es war falsch, an Türen zu horchen, Leuten direkt in die Augen zu sehen, unaufgefordert zu sprechen, Widerworte zu geben, sich in den Vordergrund zu schieben…
Doch hinter den Wänden konnte sie zu der Perdita werden, die sie immer hatte sein wollen. Perdita scherte sich um nichts. Perdita wurde mit allem fertig. Perdita trug die Sachen, die ihr gefielen. Perdita X. Nitt, Herrin der Dunkelheit, unerschrocken und nur sich selbst verantwortlich, konnte andere Leute bei ihrem Leben belauschen. Niemand zwang sie, einen guten Charakter zu haben.
Agnes wußte, daß sie eigentlich in ihr Zimmer zurückkehren sollte. Was auch immer sich in den dunkler werdenden schattigen Tiefen verbarg… Vermutlich war es besser, wenn sie es nicht entdeckte.
Perdita setzte den Weg nach unten fort. Und Agnes begleitete sie.
Mit dem Aperitif klappte alles ganz gut, fand Herr Eimer. Sie betrieben höfliche Konversation, und bisher gab es kein einziges Todesopfer zu beklagen.
Wie rührend waren die Tränen der Dankbarkeit in Señor Basilicas Augen, als er erfuhr, daß man in der Küche extra für ihn eine typisch brindisianische Mahlzeit zubereitete. Er schien sich wirklich sehr darüber zu freuen.
Wie beruhigend, daß er Lady Esmeralda kannte. Irgend etwas an der Frau verwirrte Herrn Eimer. Es fiel ihm schwer, mit ihr zu plaudern. Bemerkungen wie »Hallo, angeblich hast du eine Menge Geld, könnte ich etwas davon abbekommen?« mangelte es an Takt.
»Nun… äh… gnä’ Frau«, sagte er schließlich, »was führt dich in… äh… unsere Stadt?«
»Ich bin gekommen, um hier etwas Geld auszugeben«, erwiderte Oma. »Hab ziemlich viel davon, weißt du. Muß dauernd neue Banken suchen, weil sie so schnell voll werden.« Ein Teil von Eimers gequältem Bewußtsein sprang in die Höhe, rief »Hurra!« und schlug die Hacken aneinander.
»Wenn ich dir behilflich sein kann…«, murmelte
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