Mundtot nodrm
abläuft, der Versuch sein soll, Sie mundtot zu machen, dann müssen Sie, Herr Bleibach, verzeihen Sie die Bemerkung, eine seltsame Einstellung zur Demokratie haben.«
Es folgte das bei Talkshows unvermeidliche Durcheinanderreden, das nur zur Folge hatte, dass der Zuschauer gar nichts mehr verstand. Bleibach beteiligte sich deshalb nicht daran. Er wunderte sich nur, dass weder der Moderator noch die Gäste offenbar die Funktionsweise von Mikrofonen begriffen hatten. Die Technik war nämlich im Gegensatz zum menschlichen Ohr nicht in der Lage, sich auf einzelne Stimmen zu konzentrieren. Wenn mehrere Personen durcheinanderredeten, wurde alles gleichmäßig übertragen. Aus dem Lautsprecher kam nichts weiter als ein unverständlicher Stimmensalat. Heinrich Mühlheimer war, wie die allermeisten seiner Moderatoren-Kollegen, nicht in der Lage, seine Gäste zur Disziplin zu ermahnen.
Als das Stimmenchaos abebbte, riskierte Bleibach einen Vorstoß. »Aus Ihrer persönlichen Empörung über meine Bemerkung schließe ich, wie sehr Sie selbst von Ihrem Vorgehen überzeugt sind. Deshalb bleibe ich dabei …«, er klang jetzt eine Nuance entschiedener, »… dass es die anerzogene oder anstudierte Schere in den Köpfen der Journalisten ist, alles abzulehnen, was nicht auf der geraden Autobahn des Mainstreams verläuft.« Wieder aufgeregte Zwischenrufe, doch Bleibach war entschlossen, sich jetzt nicht mehr unhöflich unterbrechen zu lassen. »Jeder, der es wagt, auch nur ein bisschen auszuscheren – sei es mit politischer, wissenschaftlicher oder theologischer Meinung –, wird als unbequemer Abweichler verfolgt.« Wieder verärgerte Bemerkungen.
Die Stimmung schien jetzt jenen Punkt erreicht zu haben, an dem Talkshows für gewöhnlich aus den Fugen gerieten. Mühlheimer hatte sich inzwischen zurückgelehnt, als habe er diesen Moment sogar herbeigesehnt.
»Was reden Sie denn daher?«, gab sich der Journalist des zweiten Nachrichtenmagazins erbost. Auf seiner hohen Stirn glänzten Schweißperlen. »Wenn ich Sie so reden höre, werde ich den Verdacht nicht los, Sie fühlten sich von einer Horde wild gewordener Journalisten verfolgt, die allesamt – in ganz Deutschland und womöglich auch noch in Europa – von einem Heer von Zensoren dazu gezwungen werden, Ihnen Schlechtes anzutun.« Der Redner stieß bei den anderen in der Runde auf lautstarke Zustimmung.
»Meine Dame, meine Herren«, unterbrach Bleibach höflich die allgemeine Empörung. »Wenn Sie mir bisher zugehört haben, dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass ich natürlich keine direkte Zensur befürchte. Das wäre in der Tat zu kurz gedacht. Aber Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage, all die Häuser, aus denen Sie kommen – egal, ob elektronische oder Printmedien –, all Ihre Arbeitgeber – und die gibt es natürlich auch, wenn Sie als freie Journalisten tätig sind –, sind in ein wirtschaftliches System eingebunden, von dem die Unternehmen und Sie als Journalisten leben. Wenn Ihre Story nicht gedruckt oder nicht gesendet wird, stehen Sie schnell auf dem Trockenen. Also, was tun Sie, wenn Sie zum Beispiel Korrespondent im Ausland sind? Sie neigen verständlicherweise dazu, irgendein Ereignis dort hochzuspielen, um endlich mal wieder einen Beitrag platzieren zu können.«
»Das ist doch Unsinn!«, wetterte der Boulevard-Journalist. »Kompletter Unsinn.«
»Das mögen andere beurteilen«, blieb Bleibach standhaft. »Aber denken Sie daran: Ihre Auftrags- oder Arbeitgeber müssen hohe Auflagen oder Einschaltquoten erzielen, um die Werbung teuer verkaufen zu können. Außerdem gibt es Verflechtungen, die dazu führen, dass man sich’s nicht mit jedem Politiker oder mit jeder Institution verscherzen möchte. Also bleibt es doch nicht aus, dass gewisse Befindlichkeiten der Auftrageber zumindest berücksichtigt werden müssen, um es mal vorsichtig auszudrücken. Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass ein großer Werbekunde keinerlei Einfluss nehmen kann? Ich bitte Sie: Gerade in Zeiten sinkender Werbeeinnahmen und rückläufiger Abonnentenzahlen und Einschaltquoten sollten Sie mir das nicht weismachen wollen.«
Der Boulevard-Journalist winkte verächtlich ab, als handle es sich um völlig abwegige Mutmaßungen. Hingegen ließ der juristisch angehauchte, spitzzüngige Kollege Friedbert Streitmann aus der Fernsehbranche seine Bemerkungen in gewohnter Weise anklagend klingen: »Ich verfolge Ihre Ausführungen jetzt schon geraume Zeit sehr aufmerksam und warte
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