Mundtot nodrm
sind nicht in erster Linie die Kommentare, sondern die Auswahl der Themen und die Art und Weise, wie sie angegangen werden. Selbst in der ARD – und ich sage dies in vollstem Bewusstsein darüber, wo ich mich momentan befinde – staune ich manchmal, welchen Dreh man der angeblich objektiven Berichterstattung gibt, wenn das Thema Randbereiche berührt, über die es durchaus kontroverse Ansichten geben kann.«
»Nennen Sie doch endlich ein Beispiel«, forderte die Dame, die ihn irgendwie an eine bekannte Politikerin erinnerte, die stets mit bissigem Gesicht durch die Lande meckerte und den ›Wadenbeißer‹ mimte.
Bleibach wollte nicht direkt darauf eingehen. »Auch wenn’s unpopulär ist. Aber es ist noch nicht lange her, da gab’s ein sehr umstrittenes Buch, in dem der Autor weitestgehend nur trockene Statistiken und Zahlen aneinandergereiht und niedergeschrieben hat, was viele in diesem Lande denken. Ein tief demokratischer Vorgang im Sinne der Meinungsfreiheit. Sofort brandete im vorauseilenden Gehorsam ein Sturm der Empörung auf.«
»Verschonen Sie uns doch damit!«, unterbrach ihn der Journalist, der seine Emotionen nicht zügeln konnte.
»Auch in einer Runde wie dieser hier«, blieb Bleibach hartnäckig, »wurde der Autor zerpflückt, obwohl einige Kritiker zugeben mussten, sein Buch gar nicht ganz gelesen zu haben. Es genügten einige Passagen, die zugegebenermaßen unglücklich, vielleicht sogar unpassend formuliert waren, um ihn mit geballter Medienkraft in eine Ecke zu drängen, aus der er nie wieder herauskam. Anstatt sich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen, hat man ihn niedergetrampelt.«
»Sie reden doch Unsinn!«, empörte sich die Frau erneut.
»Und man hat diesen Mann, der bis dahin eine angesehene Position innegehabt hatte, trotz seiner leichten Sprachbehinderung einigen routinierten und rhetorisch geschliffenen Journalisten und anderen Rednern gegenübergesetzt – wohl wissend, dass ihnen der Mann, was Artikulieren und Argumentieren in einer lebhaften Diskussion anbelangte, nicht gewachsen sein konnte. Und dann hat er, zum Glück aller Medien, eine wirklich unpassende Bemerkung gemacht, mit der man ihn letztlich strangulieren vermochte.«
Der Vertreter eines der Nachrichtenmagazine runzelte die Stirn. »Darf ich aus dem, was Sie soeben dargelegt haben, jetzt endlich auf Ihre politische Richtung schließen?«
Bleibach sah ihn ungewöhnlich scharf an. »Es tut mir leid, Herr Felgner, dass es mir bisher nicht gelungen ist, Sie davon zu überzeugen, dass es auch Einstellungen gibt, die sich nicht ins etablierte Parteienschema pressen lassen. Auch jetzt gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass es nichts außerhalb davon geben darf. Und dass all die Menschen, die uns heute Abend zuschauen – und das sind gewiss viele Millionen –, dass die alle einem Irrglauben anhängen. Dass die alle zu dumm sind zu begreifen, dass die Politik, wie sie sich heute darstellt, nur das Beste für sie will. Und dass man sie für zu blöd hält, richtig wählen zu können.«
»Glauben Sie bloß nicht, dass all die Fernsehzuschauer heute Abend nur Ihre Fans sind«, ätzte die Frau. »Vielleicht sind ja auch ein paar darunter, die sich nur in der Einschätzung ihrer bisherigen Meinung über Sie bestätigt fühlen wollen.«
Bleibach ignorierte die Bemerkung, zumal sie durchaus zweierlei Auslegungen erlaubte.
»Aus einer Meinungsäußerung zu einem bestimmten Thema«, ging er auf Felgners Vorwürfe ein, »dürfen Sie nicht automatisch auf die politische Gesinnung schließen. Auch Sie werden zu etwas eine Meinung haben, ohne gleich mit dem, was Sie da ansprechen, direkt in Verbindung gebracht werden zu wollen.«
»Weichen Sie doch nicht schon wieder aus!«, fuhr die Frau verärgert dazwischen.
»Ich weiche nicht aus«, konterte Bleibach jetzt etwas lauter. Er saß mit verschränkten Armen, obwohl er einmal gelernt hatte, dass dies als abwehrende Haltung gedeutet werden konnte. »Aber mir scheint es so, als wolle man jedes meiner Argumente in eine andere – oder soll ich lieber sagen: in die von Ihnen gewünschte Richtung drehen. Genau daran aber mögen die Zuschauer …«, er wandte sich demonstrativ zu der Kamera, auf der das rote Licht brannte, »… erkennen, wie die geballte Macht der Medien versucht, einen nonkonformen Gesellschaftskritiker mundtot zu machen.«
»Mundtot«, ereiferte sich der Boulevard-Journalist. »Wenn in Ihren Augen das hier, was vor den Augen und Ohren von Millionen Menschen
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