Mundtot nodrm
zwischen allen Stühlen zu sitzen. Und dies gerade in Zeiten, wo die Landesregierung in Stuttgart wackelte.
»Eine Verrückte?«, fragte Häberle knapp.
»Die Kollegen in München sagen, sie mache einen vernünftigen Eindruck«, berichtete Baldachin von einem Telefongespräch, das er mit seinem gleichrangigen Kollegen in München geführt hatte. Häberle zweifelte, ob die beiden dies beurteilen konnten, zumal gewiss auch der Direktor in der bayerischen Landeshauptstadt nicht persönlich mit der Dame gesprochen hatte.
»Beweise, Zeugen?«
»Nach so langer Zeit?«, empörte sich Baldachin, als sei diese Frage völlig abwegig. Linkohr zog es vor, sich nicht einzumischen.
»Klingt das nicht ein bisschen so, als ob sie den Bleibach fertigmachen möchte?«
»Herr Häberle, was soll ich dazu sagen? Unsere persönliche Meinung ist in dieser Phase des Ermittlungsverfahrens nicht gefragt. Die Staatsanwaltschaft erwartet, dass wir es von hier aus führen.«
»Und Bleibach womöglich festnehmen«, setzte Häberle mit einem eher ironischen Unterton den Gedankengang fort.
»Ziegler sieht vorläufig davon ab, einen Haftbefehl zu beantragen«, schilderte Baldachin, was Dr. Wolfgang Ziegler, der Chef der Ulmer Staatsanwaltschaft, entschieden hatte. »Einen hinlänglichen Tatverdacht wird man nach 15 Jahren nicht mehr so einfach ableiten können. Keine Zeugen, keine Beweismittel, keine DNA.«
Linkohr las aus Verlegenheit noch einmal den Schriftsatz, während Häberle konkret wissen wollte, wie sich der Direktionsleiter den weiteren Verlauf vorstellte.
»Ich denke, dass die Angelegenheit bei Ihnen in guten Händen ist«, entschied Baldachin. »Sie sind an Bleibach schon dran. Und Sie haben die nötige Erfahrung und auch das Fingerspitzengefühl, das in solchen Fällen unerlässlich ist.« Er ließ ein süffisantes Lächeln erkennen. »Ihnen brauche ich nicht zu sagen, was in dieser Republik losbricht, wenn irgendetwas von diesem Ermittlungsverfahren an die Öffentlichkeit kommt. Das Innenministerium hat eine absolute Nachrichtensperre verhängt.«
Häberle grinste zurück: »Wenn der Dame daran gelegen ist, Bleibach fertigzumachen, wird sie so schnell wie möglich ihre Story an das meistbietende Käseblatt verkaufen. Und ihre Leidensgeschichte von dieser Allerweltsemanze da …«, ihm fiel der Name nicht ein, »… kommentieren lassen.«
Baldachin gab sich ahnungslos, aber Linkohr wusste, dass Häberle jene Frau meinte, die in diesen Wochen in einem Boulevardblatt ihre Meinung zu einem Vergewaltigungsprozess gegen einen Prominenten verzapfte.
»Weiß man denn etwas Näheres über die Anzeigeerstatterin?«, fragte Linkohr.
Baldachin blätterte in einem Schnellhefter. »1970 in Polen geboren, aber mit den Eltern deutscher Abstammung bereits 1974 nach Deutschland gekommen – genauer gesagt, nach Düsseldorf. Dort wurde noch ein Bruder geboren – namens Marek, der mal in den frühen 90er Jahren im islamistischen Umfeld aufgetaucht sein soll. Über seinen heutigen Aufenthaltsort ist nichts bekannt. Seine Schwester Joanna studierte Sprachwissenschaften in Tübingen, war anschließend für ein weiteres Jahr in Tübingen am deutsch-amerikanischen Institut tätig, bekam Jobs bei Auslandsvertretungen der Bundesrepublik, war jeweils kurz in Wien, Washington und Pretoria und soll nun seit fünf Jahren in einem Institut der Mittelständischen Wirtschaft für koordinierende Aufgaben verantwortlich sein.«
»Koordinierende Aufgaben«, äffte Häberle nach. »Wenn ich das schon höre. Wenn jemand etwas tut, was keiner wissen darf, dann ist er koordinierend und kooperierend irgendwo tätig.«
Baldachin distanzierte sich von derlei kritischen Anmerkungen. »Ich lese nur vor, was München uns geschickt hat. Sie war zwischendurch auch mal verheiratet, aber nur eineinhalb Jahre lang. Jetziger Wohnsitz ist übrigens Neu-Ulm.«
»Ach«, staunte Häberle, ohne es näher zu kommentieren. »Und wieso zeigt sie den Bleibach dann in München an?«
»Sie ist beruflich viel unterwegs«, erklärte Baldachin darauf knapp.
»Und da fällt es ihr zwischen zwei Terminen ein, schnell mal eine 15 Jahre zurückliegende Vergewaltigung anzuzeigen?« Häberle erwartete keine Antwort.
»Die Psyche einer Frau bleibt für uns Männer ein ewiges Rätsel«, philosophierte Baldachin und sah dabei Linkohr an. Der junge Kriminalist wusste diesen Blick nicht zu deuten. Er musste schlagartig an Sigrid denken.
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Klaus Wettstein, der als parlamentarischer
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