Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
Mädchen zur Ordnung. Ihr war unwohl zumute. Die Sache war irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Hätte sie es Isobel nicht zwischen Tür und Angel verraten, hätte diese sich vor den Chormädchen auch nicht mit der Neuigkeit brüsten können.
Lili atmete ein paarmal tief durch. Sie durfte auf keinen Fall mit den Gedanken abschweifen. Nun stand erst einmal der Auftritt im Vordergrund. Das war gar nicht so einfach, denn Lili fühlte sich während der gesamten Wartezeit von Isobels bitterbösen Blicken durchbohrt. Als sei Lili nicht mehr ihre Verbündete, sondern ihre Feindin. Vor dem Vorhang auf der anderen Seite wurden noch einmal Stühle gerückt, bis sich Miss Macdonalds klare Stimme erhob. Lili aber konnte sich partout nicht auf die Worte der Direktorin konzentrieren. Nein, sie fieberte nur noch dem Auftritt entgegen und betete, dass alles gut gehen möge. Doch dann erschien gegen ihren Willen der Mann aus den Highlands vor ihrem inneren Auge, und sie fragte sich, warum sie sich eigentlich mit derartigen Zweifeln marterte. Andere Frauen in meiner Lage würden über die kleinen Unstimmigkeiten großzügig hinwegsehen, einen gestandenen Witwer wie Niall zuckersüß umgarnen und ihn nicht mehr aus den Fängen lassen, mutmaßte Lili betrübt. Warum steckte sie nur so voller Widerspruchsgeist, beharrte auf ihrer eigenen Meinung und konnte es schwer ertragen, wenn man ihr das Gefühl gab, über sie bestimmen zu wollen? Wahrscheinlich war dies der Grund dafür gewesen, dass sie in der Vergangenheit selten eine Verabredung mit einem Mann gehabt hatte. Auf diese Weise wirst du keinen abbekommen, hatten ihr schon früher jene Mädchen in der Schule prophezeit, die es verstanden hatten, die jungen Männer um den Finger zu wickeln. Lili aber hatte meist schon gar keine Lust gehabt, überhaupt mit einem Verehrer auszugehen, weil sie an allen etwas auszusetzen hatte. Deshalb hatte sie stets behauptet, sie sei nicht spröde, sondern wählerisch. Doch Sir Niall war kein pickeliger Jüngling, sondern ein attraktiver Mann aus guter Familie, der ihr, Lili Campbell, einen Antrag gemacht hatte! Verdirb dir das ja nicht, liebe Lili!, redete sie sich schließlich gut zu und nahm sich fest vor, ihre Zweifel endgültig zu begraben.
»Miss Campbell, kommen Sie! Man hat uns angesagt«, hörte Lili nun die Stimme einer Schülerin eindringlich flüstern.
Lili schreckte hoch. Nun war sie doch mit ihren Gedanken abgeschweift.
»Stellt euch auf, wie wir es besprochen haben. Und du, Isobel, kommst nach, wenn der Chor auf der Bühne steht.«
Das Mädchen funkelte seine Lehrerin mit stummem Vorwurf an. Lili konnte nur hoffen, dass das impulsive Kind die Aufführung nicht platzen ließ. Obgleich es ihr letzter großer Auftritt in der St. George’s war, wollte Lili ihn ohne Skandal hinter sich bringen.
Nachdem sie am Klavier Platz genommen und festgestellt hatte, dass die Schülerinnen wie besprochen Aufstellung genommen hatten, starrte sie zum Vorhang und zählte die Sekunden. Was, wenn Isobel sich verweigern würde? Doch da teilte sich der schwere Stoff, und das Mädchen betrat unter dem Applaus des Publikums den Saal. Wie selbstbewusst sie mit einem Mal wirkt! Kein Vergleich zu vorher, schoss es Lili durch den Kopf.
Sie atmete auf. Was sollte nun noch misslingen? Sie warf Isobel einen ermunternden Blick zu und begann zu spielen. Der vielstimmige Gesang aus den Kehlen der Mädchen klang klarer und schöner als bei allen Proben. Und auch Isobel fand sicher ihren Einsatz und sang, als gehe es um ihr Leben.
Als das Lied zu Ende war, herrschte einen Augenblick lang Stille im Saal, bevor begeisterter Applaus aufbrandete.
Isobel knickste artig, und auch Lili erhob sich von ihrem Klavierhocker und führte eine anmutige Verbeugung aus. Sie blickte dabei ins Publikum und blieb an einem Paar blauer Augen hängen. Sie errötete, denn Niall schickte ihr einen Kuss auf die Bühne. Diese mutige Geste seiner Zuneigung nahm Lili mit einem Mal sämtliche Ängste und gab ihr jenes beschwingte Gefühl zurück, das sie bei seiner ersten Umarmung heute am Vormittag empfunden hatte. Es wird alles gut, dachte sie mit einem Anflug von überbordender Freude. Doch dann fiel ihr Blick auf Isobel, und sie erstarrte. Wo gestern noch kindliches Vertrauen und Zuneigung zu lesen gewesen waren, traf Lili auf ungeteilte Ablehnung. Das war nicht mehr jenes Mädchen, das ihr nicht von der Seite wich, sondern ein Kind, das ihr unmissverständlich zu verstehen gab, dass sie als
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