Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
neue Frau ihres Vaters alles andere als willkommen war. Der Hass, der aus Isobels Augen glühte, ließ keine andere Erklärung zu.
Lili wandte den Blick ab und suchte noch einmal den des Mannes aus den Highlands, der ausgerechnet sie, Lili Campbell, um ihre Hand gebeten hatte. Warum eigentlich mich? Gibt es dort, wo er lebt, keine attraktiven, heiratswilligen jungen Frauen?, durchfuhr es Lili, und sie versuchte, diesen Gedanken umgehend zu verscheuchen, denn wieder regten sich Zweifel, während sie eigentlich blind hätte vertrauen sollen. Niall aber lächelte ihr zu und formte mit den Lippen stumm drei Worte. Ich liebe dich.
9
Edinburgh, später Nachmittag, 23. Dezember 1913
Lili war nach dem Auftritt geradezu aus der Schule geflüchtet, natürlich nicht ohne sich von Niall zu verabschieden und für den nächsten Tag mit ihm zu verabreden.
Seit Stunden war sie schon damit beschäftigt, die wenigen Habseligkeiten ihrer Mutter zu ordnen und ihre eigenen Sachen für die Reise zu packen. Niall wollte schon in den frühen Morgenstunden des vierundzwanzigsten Dezember gen Norden aufbrechen. Mit dem ersten Zug. Lili hatte nicht widersprochen. Die Zeit, die ihr blieb, war zwar knapp, aber sie sollte genügen, um die Wohnung leer zu räumen.
Lili kniete vor der Kiste mit den persönlichen Dingen ihrer Mutter und wusste nicht recht, was sie damit anfangen sollte. Mitnehmen konnte sie den schweren Holzkasten nicht. Er war zu sperrig für die Zugreise, und sie wollte kein unnützes Zeug mit in die Highlands schleppen. Nein, beschloss sie seufzend, ich muss den Inhalt begutachten und fortwerfen, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Natürlich fiel ihr der Gedanke schwer. Ihr war so, als würde sie ihre Mutter verraten. Doch dann hob sie den Deckel und griff beherzt in die Kiste, obwohl ihr der muffige Geruch für einen Augenblick den Atem rauben wollte. In der Hand hielt sie Fotografien und Papiere. Sie breitete alles vor sich auf dem wackeligen Tisch aus und verschnaufte erst einmal, bevor sie mit der Sichtung begann. Schon das erste Bild überraschte sie so sehr, dass sie einen leisen Pfiff ausstieß. Es war eine Ganzkörperfotografie ihrer Mutter, angefertigt in einem stadtbekannten Atelier. Unverkennbar Davinia. Lili staunte allerdings nicht schlecht über das schmale, schöne Gesicht der jungen Frau. Davinia hatte ihr zwar oft erzählt, dass sie einmal ebenso schlank gewesen war wie ihre Tochter heute, aber Lili hatte ihr das insgeheim nie so recht glauben wollen. Nun hielt sie den Beweis in Händen. Davinia war wirklich eine außerordentlich reizvolle Frau gewesen. Und wie ihre Augen strahlten! Da muss sie sehr verliebt gewesen sein, vermutete Lili und drehte das Bild um. Und tatsächlich, auf der Rückseite war eine Widmung: Meinem starken Mann aus den Highlands, meinem liebsten Gordon.
Lili wurde abwechselnd heiß und kalt. Was hatte ihre Mutter noch immer gepredigt? Nimm niemals einen Mann aus den Highlands! Lili konnte diese Warnung inzwischen sogar verstehen, nachdem sie doch erfahren hatte, dass dieser Kerl die arme Davinia so schnöde hatte sitzen lassen. Und noch etwas ließ ihr den Atem stocken. Hatte Doktor Denoon nicht behauptet, der Name ihres Vaters laute Gordon. Und nicht Gerald, wie ihre Mutter ihr einst anvertraut hatte? Und wenn der Doktor recht hatte, warum hatte Davinia sie ein Leben lang belogen?
Am liebsten hätte sie den Inhalt dieser verdammten Kiste auf der Stelle fortgeworfen, wenn da nicht diese brennende Neugier gewesen wäre. Ob es auch von ihm ein Bild gab? Mit zitternden Fingern ließ Lili die Fotografien durch die Hände gleiten. Es waren nicht viele. Sie zeigten ihre Mutter, alle in jenem Atelier hergestellt und wahrscheinlich nur zu einem Zweck gemacht: um den Mann aus den Highlands damit zu überraschen. Erst das allerletzte Bild zeigte nicht sie, sondern einen hochgewachsenen Mann mit hellem Haar. Er trug die schlichte dunkle Kleidung eines einfachen Edinburgher Arbeiters und hatte so gar nichts von den vornehmen Highlandern an sich, die Lili aus der Schule kannte. Sein Blick war verwegen und erinnerte eher an die Kerle, die zuhauf im Hafen von Leigh herumlungerten. Auch schien sein Haar noch nie mit einem Kamm in Berührung gekommen zu sein, denn seine Locken hingen ihm wirr in die Stirn. Und trotzdem war der Mann alles andere als unattraktiv. Lili konnte sich gut vorstellen, dass Davinia von seiner virilen Ausstrahlung fasziniert gewesen war. Sie hätte zu gern gewusst, welche
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