Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
wieder jener Niall, den sie schon am Tag zuvor nicht verstanden hatte. Er bestimmte alles und ließ nicht mit sich reden. Was hat er nur gegen ein harmloses Tagebuch einzuwenden?, dachte Lili, als ihr das braune Lederbüchlein einfiel, das sie am Morgen mit dem festen Vorsatz, es nie wieder anzurühren, in das Geheimfach zurückgelegt hatte.
Da spürte sie auch schon seine Hand auf ihrem Arm und hörte seine einschmeichelnde Stimme am Ohr. »Es ist nicht einfach für dich, ich weiß, aber ich hasse Tagebücher. Meine Frau saß zuletzt tagelang am Schreibtisch, war nicht mehr ansprechbar und schrieb Tagebuch. Sie nahm es wohl mit in den Tod. Hätte ich es gefunden, ich hätte es verbrannt, denn wer will schon das wirre Gefasel einer gemütskranken Frau lesen? Liebling, du hast es sicher gut gemeint, aber ich kaufe Isobel ein Kleid, und das schenkst du ihr dann.«
Lili biss sich auf die Lippen. Eigentlich sollte ich mich freuen, dass er so ehrlich ist und sich sogar entschuldigt, schoss es ihr durch den Kopf, doch es wollte ihr nicht gelingen. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass über allem, was sie sagte und tat, Caitlins Geist schwebte. Wenn sie dem Mädchen nicht einmal ein leeres Büchlein schenken durfte, was für Schatten der Vergangenheit würden sie erst verfolgen, wenn sie auf Scatwell Castle lebte? Die Tasse, aus der Caitlin getrunken hatte, der Weg zum Bach, in dem sie in den Tod gegangen war, die Bücher, die sie gelesen hatte, die Treppe, die sie benutzt hatte …
»Niall, so nicht! Du kannst doch nicht alles verdammen oder verbieten, was dich an Caitlin erinnert«, hörte sie sich energisch sagen, obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, den Mund zu halten.
»Bitte, mach es mir nicht schwer! Und nicht so laut! Die Leute drehen sich schon um. Man kennt mich in der Stadt.«
»Niall, dann reden wir später darüber. Aber es ist doch absurd, dass deine Tochter kein Tagebuch führen darf, nur weil es deine Frau getan hat. Ich dachte, du willst eine Zukunft mit mir. Dann gib uns endlich eine Chance und lass deine Frau in Frieden ruhen.«
»Lili, du hast keine Ahnung, wovon du sprichst. Und bitte hör auf, mir ständig zu widersprechen. Du willst immer mit dem Kopf durch die Wand, aber das erlaube ich nicht. Isobel bekommt kein Tagebuch. Und Schluss jetzt.«
Ohne sie weiter zu beachten, eilte er davon und betrat das Bekleidungsgeschäft. Lili folgte ihm zögernd. Sofort eilte ein seriöser, älterer grauhaariger Herr in einem prächtigen Kilt auf Niall zu.
»Ist das die Dame, die Sie gesucht haben, Sir Niall?«
»Ja, Mister Graham, das ist Miss Campbell. Für sie ist das Kleid bestimmt, das ich bei Ihnen in Auftrag gegeben habe.«
»Natürlich, Sir Niall, ich hoffe, es ist alles nach Ihren Wünschen ausgeführt worden. Ich hole es.«
Lili starrte Niall verdutzt an. »Von welchem Kleid spricht er?«
»Von dem Festkleid meiner Braut«, erwiderte er ungerührt.
»Aber … aber du konntest doch gar nicht wissen, dass ich mitkomme«, stammelte Lili.
»Gewusst habe ich es nicht, aber ich ahnte es. Wenn ich es nicht hätte anfertigen lassen, dann wäre es zu unserem Verlobungsfest nicht fertig gewesen.«
Lili überlegte noch, was sie dazu sagen sollte, als der Verkäufer mit einem Kleid auf dem Arm zurückkehrte, das genau den gleichen Tartan aufwies wie die Kilts der Munroy-Brüder und Dustens.
»Kommen Sie bitte mit, gnädige Frau! Wir haben im hinteren Teil unsere Ankleideräume. Ich hoffe natürlich, es passt Ihnen, denn wir haben es ja nur aufgrund der Angaben gefertigt, die uns Sir Niall machte.«
Lili folgte dem Mann zögernd bis zu einer holzgetäfelten Garderobe mit einem großen Spiegel.
»Zeigen Sie sich, wenn Sie sich umgezogen haben. Ich warte draußen.«
Unschlüssig blickte Lili auf das festliche Kleid und dann in den Spiegel. Die Frau, die ihr entgegenblickte, gefiel ihr gar nicht. Ich bin bleich wie ein Gespenst, durchfuhr es sie.
Trotzdem legte sie ihr Kostüm ab und zog widerwillig das Kleid an. Es passte wie angegossen, wie ihr Spiegelbild zeigte, und das dunkle Rot, das in dem Tartan vorherrschte, stand ihr hervorragend. Auch ihre Gesichtsfarbe wirkte gleich viel gesünder. Trotzdem wusste sie nicht, was sie davon halten sollte. Hatte Niall ihren Brief damals gar nicht ernst genommen? War er sich so sicher gewesen, dass sie ihre Meinung doch noch ändern werde? Und woher hatte er diese Sicherheit genommen? Hielt er sich für unwiderstehlich oder sie für so geschmeichelt
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