Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
über den Antrag, dass er ihren Korb nur für wichtigtuerische Launenhaftigkeit gehalten hatte?
Als sie die Tür des Ankleidezimmers öffnete, standen der Verkäufer und Niall schon gespannt davor.
»Es ist wie für Sie gemacht!«, rief Mister Graham begeistert aus.
»Du sieht darin bezaubernd aus«, fügte Niall sichtlich angetan hinzu. »Du wirst eine wunderschöne Braut sein.«
»Ach, dann darf man wohl herzlich gratulieren«, rief Mister Graham überschwänglich aus. »Es ist uns eine besondere Ehre, dass wir nun wieder schöne Kleider für das Haus Munroy anfertigen dürfen. Es war uns stets ein großes Vergnügen, für so schöne Ladys wie …« Unvermittelt brach der Verkäufer mitten im Satz ab. »Entschuldigung«, murmelte er.
»Ist schon gut«, entgegnete Lili und lächelte verkrampft. »Ich weiß, dass die verstorbene Lady Munroy ihre Kleider auch bei Ihnen schneidern ließ.«
Niall aber schien der heikle Dialog völlig entgangen zu sein, denn er musterte Lili nach wie vor bewundernd.
»Kann ich mich wieder umziehen?«, erkundigte sie sich, denn sie fühlte sich nicht sonderlich wohl in dem neuen Kleid.
»Aber natürlich, mein Liebling, Mister Graham wird es einpacken und uns gleich nach Hause bringen lassen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich, Sir, ich bin ja glücklich, dass wir nichts daran ändern müssen.«
Lili aber ließ sich im Umkleidezimmer auf einen kleinen Hocker fallen und betrachtete sich noch einmal missmutig im Spiegel. Es kleidete sie wirklich gut, keine Frage, aber … Was gefällt dir denn nun schon wieder nicht, Lili Campbell?, ging sie streng mit sich ins Gericht. Was ist dabei, dass er ein Kleid hat schneidern lassen in der Hoffnung, dass ich es mir doch anders überlege? Das kann ich ihm doch nicht übel nehmen. Und überhaupt, er hat mir doch heute mehr als deutlich gemacht, dass seine Gefühle mir gelten und nicht seiner toten Frau. Wahrscheinlich trauert sein Cousin Dusten viel heftiger um Caitlin, nachdem die beiden … Und ganz plötzlich ahnte sie, was ihr diese schlechte Laune bereitete, und sie bekam ein entsetzlich schlechtes Gewissen. Was ging es sie an, wen Dusten einmal geliebt hatte?
Lili stand entschlossen auf und nahm sich vor, alle zweifelnden Gedanken endgültig zu verscheuchen. Es ist doch reizend von Niall, dass er mir, allein in der Hoffnung, ich würde mit ihm in die Highlands kommen, ein solch prachtvolles Kleid schneidern lässt, dachte sie. Nur die Sache mit dem Tagebuch, die durfte sie nicht unwidersprochen hinnehmen. Er konnte ihr doch nicht verbieten, Isobel ein ganz persönliches Geschenk zu machen. Allerdings würde sie heute keinen Streit mehr vom Zaun brechen. Sie konnte Isobel das Büchlein ja auch immer noch an Hogmanay überreichen. Vielleicht hatte Niall bis dahin auch begriffen, dass sich nicht jedes weibliche Wesen, das Tagebuch schrieb, auch umbringen musste. Notfalls würde sie das wertvolle Büchlein eben für sich selbst nutzen und dafür sorgen, dass Niall ihr dabei nicht über die Schulter sah. Was er wohl sagen würde, wenn er erführe, dass Caitlins verhasstes Tagebuch unversehrt in dem Geheimfach liegt?, fragte sich Lili.
»Gefällt dir das Kleid?«, fragte Niall, kaum dass sie das Geschäft verlassen hatten.
»Ja, es ist wirklich wunderschön.«
»Und du bist mir nicht böse, dass ich es in der Hoffnung anfertigen ließ, du würdest deine Meinung doch noch ändern?«
»Wie könnte ich dir böse sein? Du hast es doch gut gemeint«, entgegnete Lili mit fester Stimme.
Stumm gingen sie nebeneinander her durch die belebten Straßen, bis sie wieder das Flussufer erreichten und das Stadthaus der Munroys in Sicht kam.
In Lilis Kopf wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Sie dachte an die Geschichte mit ihrem Vater, an Caitlins Selbstmord, an ihren Verdacht, dass Dusten vielleicht mehr mit der Sache zu tun hatte und Niall ihn deshalb so ablehnte, an …
Sie stutzte. So viele Geheimnisse, durchfuhr es sie eiskalt, so viele Geheimnisse voreinander, und wir sind noch nicht einmal offiziell verlobt.
22
Inverness, Abend des 25. Dezember 1913
Lady Mhairie Munroy war eine zarte kleine Person mit weichen grauen Löckchen, und sie hatte für ihr Alter noch immer erstaunlich volle rote Lippen. Ihre Haut war trotz ihres hohen Alters nahezu faltenfrei. Nur im oberen Teil des Gesichts hatte ihr über achtzigjähriges Leben sichtbare Spuren hinterlassen. Unzählige kleine Fältchen umrahmten ihre wachen Augen. Obwohl Mhairie ihr
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