Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
Festkleid angezogen hatte, haderte sie noch mit sich. Sollte sie wirklich zum Essen erscheinen? Allein bei dem Gedanken, mit der Familie einen ganzen Abend lang bei Tisch zu sitzen und schweigend dem oberflächlichen Geplapper der anderen zu lauschen, verspürte sie ein leichtes Unwohlsein. Am wohlsten fühlte sie sich, wenn sie allein in ihrem Zimmer bleiben durfte oder zu Hause im Tal ausgedehnte Wanderungen entlang des River Conon bis zum Loch Meig unternehmen konnte. Sie war noch wesentlich besser zu Fuß, als sie den Verwandten gegenüber zugab. Den Stock, auf den sie sich im Hause zu stützen pflegte, brauchte sie eigentlich nicht. Doch es war für sie von Vorteil, wenn die anderen nicht wussten, wie agil sie noch war. So diente ihr die Gebrechlichkeit ihres hohen Alters stets als Schutzschild, um sich der Gesellschaft der Familie zu entziehen.
Sie saß auf einem Sessel am Fenster und ließ die Blicke über den River Ness schweifen. Nur äußerst widerwillig war sie mit nach Inverness gekommen und auch nur deshalb, weil Dusten sie darum gebeten hatte. Ihr wäre es lieber gewesen, die Feiertage allein im Tal von Strathconon zu verbringen. Bei dem hohen Schnee, der zurzeit dort lag, hätte sie sich zwar keine langen Fußmärsche zugetraut, aber sie hätte das ganze Schloss für sich gehabt. Und was gab es Schöneres, als nach langer Zeit einmal wieder die uneingeschränkte Herrin von Scatwell zu sein?
Ein forderndes Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. »Herein!«, rief sie mit immer noch klarer und tiefer Stimme.
Mhairie blickte neugierig zur Tür, denn sie hoffte, es sei Dusten. Stattdessen betrat Caitronia forschen Schrittes ihr Zimmer. Wie so oft, wenn Mhairie ihre Schwiegertochter betrachtete, musste sie daran denken, was für eine außergewöhnliche Schönheit sie einst am Tag ihrer Hochzeit mit Brian gewesen war. Die stolze und unbeugsame Tochter Sir John McKinnons von der Insel Skye. Mhairie erinnerte sich noch genau, wie glücklich sie gewesen war, als ihr Sohn Brian sich ausgerechnet in dieses wilde Mädchen verliebt und keine folgsame, langweilige Frau mit nach Hause gebracht hatte. Ihr Mann Angus hatte ihre Begeisterung anfangs überhaupt nicht geteilt. Caitronia kam aus einer katholischen Familie, für ihren Mann allein ein triftiger Grund, einen ganzen Clan in Bausch und Bogen abzulehnen. Verwerflicher als der Glaube war in seinen Augen allerdings die Tatsache, dass die McKinnons einst mit den Jakobiten gegen die Engländer gekämpft hatten. Das war für Angus mit Verrat gleichzusetzen. Zur friedlichen Familienzusammenführung hatte dabei nicht unbedingt die Tatsache beigetragen, dass der alte John genauso stur gewesen war wie ihr Mann. Mhairie musste nur an die Hochzeit ihres Sohnes Brian mit Caitronia denken. John hatte zu später Stunde nicht gezögert, Angus nach dem reichlichen Genuss von Whisky lauthals als armseligen Englandknecht zu beschimpfen. Mhairie hatte versucht, zwischen den beiden Sturköpfen zu vermitteln, als die Männer sich in die Haare geraten waren wegen eines Krieges, der längst entschieden war und doch mehr als einhundert Jahre danach niemanden in den Highlands kalt ließ. Auch Mhairie nicht, hatten doch auch ihre Vorfahren in der Schlacht von Culloden auf der Seite der Jakobiten gegen England und das Haus Hannover gekämpft. Doch sie hatte das Geschrei der Männer auf der Hochzeit einfach nicht mehr ertragen können. Angus hatte sie vor allen angebrüllt, sie solle ihr Maul halten, sie habe sowieso keine Ahnung, bevor er John lallend um den Hals gefallen war. »Ich bin bereit, Frieden mit dir zu schließen, alter Junge. Denn du bist ein guter Mann im Gegensatz zu diesen verdammten Schwarzbrennern auf der anderen Seite des Flusses, die endlich dort sind, wo sie hingehören, weit weg vom schottischen Hochland auf der anderen Seite des großen Teiches …« Darin hatte John ihm ebenso betrunken beigepflichtet, denn es gab einen Punkt, in dem sich die beiden Haudegen gänzlich einig waren: dass sie das Recht besaßen, die kleinen Pächter von ihrem Land zu vertreiben, damit denen keine andere Wahl blieb, als nach Kanada auszuwandern. Das war der Augenblick gewesen, als Mhairie das Fest verlassen hatte und an das Ufer der mondbeschienenen See geflüchtet war. Sie hatte ein Boot ins Wasser geschoben und war aufs offene Meer hinausgerudert, denn die Hochzeit hatte bei den Brauteltern auf der Insel Skye stattgefunden. Im Boot hatte sie ihren Tränen freien Lauf
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