Munzinger Pascha
Sportster sein. Ich beschloß, mir keine weiteren Gedanken zu machen, vergrub mich tief in Daunendecke und Kopfkissen und drehte mich gegen die Wand. Aber dann: Waren das nicht Schritte im Treppenhaus? Schritte von Fallschirmspringerstiefeln? Das ist der Vorteil von Altbauten, in denen die Außentür nicht zuschnappt, dachte ich. Dann ging die Wohnungstür auf, und jemand lief leicht und schnell durch den Flur. Einen Moment blieb es still. Was sollte ich tun? Liegenbleiben mit dem Gesicht zur Wand und mich schlafend stellen. Die Schritte kamen näher. Ich rührte mich nicht und gab mir Mühe, gleichmäßig zu |45| atmen. Knurrend ging ein grober Reißverschluß auf – vielleicht die Lederjacke. Dann folgte allerhand seidenes Gezischel und Geraschel, und dann liefen zwei bloße Füße auf mein Bett zu. Der Atem geriet mir aus dem Takt, als meine Decke hochgehoben wurde und jemand sich neben mich legte. Ich fühlte zwei Brustspitzen am Rücken, zwei kalte Füße an meinen Füßen, eine leichte Hand auf meiner Seite und offene Lippen, die mir den Nacken hoch ins Haar fuhren.
Im Morgengrauen erwachte ich, weil vor meinem Haus ein Motorrad dröhnte. Gut möglich, daß es eine 76er Harley-Sportster war.
|46| 8
Um Viertel nach acht holte Ingrid den Kleinen ab, und zehn Minuten später lief ich die Eisentreppe hoch zur Redaktion der ›Oltner Nachrichten‹. An der Eingangstür schlug ich mir fast den Schädel ein. Die Tür war wieder einmal verschlossen, und ich hatte meinen Badge nicht dabei, meinen elektronischen Schlüssel. Durch die Panzerglasscheibe schaute ich hinein zum Empfangsschalter. Ich hatte Pech: Heute saß Frau Studer am Empfang. Frau Studer sah mich nicht. Frau Studer übersah jeden, der blöd genug war, seinen Badge zu Hause liegenzulassen. Ich fuchtelte mit beiden Armen – Frau Studer sah mich nicht. Ich klopfte an die Scheibe – Frau Studer hörte mich nicht. Da setzte ich mich schuldbewußt und demütig auf die Eisentreppe – und jetzt sah mich Frau Studer. An der Tür summte es eine Zehntelsekunde, dann war das Schloß offen. Ich trat ein, schlug den Blick nieder, murmelte »Danke« und wollte unauffällig an Frau Studer vorbeihuschen.
»Herr Mohn!« rief sie, ohne von ihrem Kreuzworträtsel aufzuschauen. Ihre Stimme war eine entsicherte Handgranate. »Der Chef erwartet Sie seit zwölf Minuten!«
Der Chef war tief über seinen Schreibtisch gebeugt. Mit spitzen Fingern stellte er eine Komposition von Güterwaggons hinter der Ae 3 / 6 aufs Gleis.
|47| »Na, Max – hast du dein Portrait geboren?« brüllte er, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen.
»Nein.«
»Noch nicht fertig?«
»Chef . . .«
»Sprich dich aus, Max. Sprich einfach. Ich kann es nicht ausstehen, wenn die Leute rumdrucksen.«
». . . ich möchte das Zingg-Portrait nicht schreiben.«
Jetzt schaute der Chef doch auf. Er legte die Güterwaggons hin und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Du willst nicht?«
»Lieber nicht.«
»Du willst überhaupt nichts über den alten Zingg schreiben?«
»Nein.«
Der Chef sah mich mitleidig an. »Du empfindest einen gewissen Ekel – ist es das?«
»Ja.«
»Du möchtest keine Werbung machen für diesen kleinkarierten Kulturspießer?«
»Nein.«
»Du möchtest gerne selber glauben können, was du berichtest? Du hast die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß es sinnvollere Dinge gibt, über die du schreiben könntest?«
»Ja.«
»Und auf keinen Fall willst du den Hampelmann spielen für meinen Schulkameraden Zingg und mich – ist es das?«
»Genau.«
»Und überhaupt geht dir die korrupte Medienwelt |48| auf den Keks? Und sowieso mußt du dir überlegen, ob du nicht doch zurück an die Uni sollst und dein Studium abschließen? Aber das willst du auch nicht, weil der akademische Selbstzweck dir noch spießiger vorkommt als der alte Zingg und ich?«
»Richtig.«
»Aber eigentlich hast du das alles schon mit sechzehn gewußt? Und du denkst oft: Wenn du nur in die Südsee geflohen wärst, wie du das damals vorhattest?«
»Jawohl.«
Da stand der Chef auf, lief um seinen Schreibtisch und umarmte mich.
»Ach, Max! Ich verstehe dich – wenn du wüßtest, wie gut ich dich verstehe! Ich verstehe dich wirklich, ach Gott! Was glaubst du, wie
ich
mich manchmal fühle? Meinst du,
mir
macht das alles immer Spaß hier? Ach, wie gut ich dich verstehe! Geh, Max, geh raus aus dem Büro und an die frische Luft!«
Überrascht schaute ich den Chef an. »Und das
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