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Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
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und manches Volkvergehen sehen werden, und hier unter mir Kahira, die siegreiche Stadt der Kalifen. Welch ein Kontrast, dort das Sinnbild der Ewigkeit, hier der Vergänglichkeit!   – Die Sonne sank: Es dunkelt schnell im Orient. Da erhob sich mit Silberklang die Stimme des Gebetsrufers vom nächsten Minarett, und Hunderte ahmten ihn nach, singend: ›Allahu akbar! Gott ist groß! O Gläubige, betet: Es gibt nur einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet!‹
    Und Millionen beten zur selben Stunde im selben
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Glauben zum selben Gott in feierlichem Lobgesang. Die Töne steigen und fallen, wie sich die Betenden beugen und erheben; bald steigert sich der Choral zu den höchsten Brusttönen und füllt jauchzend die hohen Gewölbe, bald sinkt er hinab in melancholisches Alt und wird zu einem geisterhaften Murmeln und scheint zu ersterben. Dann erhebt er sich von neuem, Männer und Knaben unisono, und erlischt wieder, bis er sich in die eintönigen Schlußformeln auflöst. In dem von düsteren Lampen ungebrochenen Dunkel können die Töne ungestört zum Herzen vordringen.   – Wann werden die Tage kommen, wo diese Stimmen schweigen, Cairo in Schutt liegt und im Lande der Muselmanen Europäer Gesetze geben? Wann wird dem Abendlande selbst die Stunde der Vernichtung schlagen?   – Ich war erschüttert, ich mochte weinen.

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    Geh an die frische Luft und mach dir einen schönen Morgen, hatte der Chef gesagt. Ich lief an Frau Studer vorbei, die ihre Handgranaten durch den Telefonhörer einem unbekannten Opfer entgegenschleuderte. Mach dir einen schönen Morgen   – gar nicht so einfach an einem eisigen Wintertag, wenn man weder Gleitschirm noch Delta fliegt, Schwarzwäldertorte nicht mag und keinerlei Vergnügen am Erwerb von Unterhaltungselektronik empfindet. Ich schlenderte stadteinwärts und überholte eine Schlange schleichender Autos, deren Leiber in der fahlen Morgensonne glänzten. In der Fußgängerzone stand ein Mann mit einer schwarzen Schreibmappe. Er hatte schwarze Augenringe und sah aus wie jemand, der viel älter aussieht, als er ist. Ich wechselte die Straßenseite, um ihm nicht zu nahe zu kommen. Der Mann wechselte ebenfalls die Straßenseite. Ich kehrte zurück auf meine ursprüngliche Seite. Er tat es mir nach. Da gab ich auf und ließ mich auf ihn zutreiben.
    »Guten Tag«, sagte der Mann und sah mich mit umschatteten Augen durchdringend an. »Haben Sie einen Moment Zeit?«
    Ich brachte es nicht über mich, nein zu sagen. Er öffnete seine Mappe und zeigte mir Fotos von Kindern mit aufgeschlitzten Bäuchen, von Frauen, die mit einem Stück Stacheldraht um den Hals an einem Baum |54| hingen, und von toten nackten Männern mit eitrigen Wunden am ganzen Körper. Das seien alles Leute aus seinem Dorf, sagte der Mann in brüchigem Deutsch, und er kämpfe gegen die Soldaten, die das getan hätten. Ich kämpfte gegen nichts als meine Übelkeit, stellte zwei oder drei Fragen, und dann gab ich ihm zum Abschied zehn Franken.
    Am Ende der Fußgängerzone führte mein Weg über die alte Holzbrücke. Abrupt blieb ich stehen: Im Gebälk des Ziegeldachs hockten Hunderte von Tauben, gleichmäßig verteilt über die ganze Länge der Brücke. Mißtrauisch beobachtete ich die Viecher im Halbdunkel, wie sie mit ihren runden Köpfen ruckelten und die roten Augen rollten. Welchen Plan hatten sie diesmal ausgeheckt? Soviel war klar: Solange sie in der Höhe saßen, konnten sie mich nicht durch plötzliches Aufflattern aus dem Gleichgewicht bringen. Ich hörte zu, wie sie mit ihren verkrüppelten Füßen über die Balken tippelten, ich lauschte auf das schabende Geräusch der Federn, die über schuppige Taubenhaut strichen, ich ahnte den beständigen Nieselregen von abgestorbenen Hautpartikeln, schlierig-weißem Kot und mannigfaltigen Krankheitserregern   – und ich beschloß, diese Brücke nicht zu überqueren. Entschlossen drehte ich mich um.
    Ziellos ging ich die Fußgängerzone wieder hoch. Der Mann mit den Augenringen ließ mich diesmal passieren, denn ich hatte meinen Wegzoll entrichtet. Aber schon wenige Schritte weiter wurde ich erneut aufgehalten. Zu meiner Linken hatte ein Reisebüro drei Pyramiden aus Karton ins Schaufenster gestellt. Auf der mittleren Pyramide stand in fetten Lettern: |55| »PREIS-SCHOCKER«, und darunter: »3   Tage Kairo nur 585,–«
    Türe auf, Türe zu. Eine Frauenstimme: »Guten Tag. Womit kann ich Ihnen dienen?«
    »Ich will nach Ägypten.«
    »Aber gern.« Papiergeraschel.

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