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Munzinger Pascha

Munzinger Pascha

Titel: Munzinger Pascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Capus
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Portrait?«
    »Geh, sage ich! Geh an die frische Luft, das hilft immer, wenn man den Koller hat! Mach dir einen schönen Morgen, tu irgendwas, das dir Spaß macht. Geh in die Sauna! Kauf dir eine Schallplatte! Iß ein Stück Schwarzwäldertorte! Kauf neue Lautsprecher für dein Autoradio! Und am Nachmittag kommst du wieder her und schreibst das Portrait. Hundertachtzig Zeilen, ja? Sei so gut, bitte.«

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    20.   Juli 1852.   Der brandneue Schnellzug Alexandria   – Kairo dampft auf glühenden Geleisen durchs Nildelta. Auf den heißen Blechdächern der Waggons sitzen die Passagiere dritter Klasse, ägyptische Bauern und Handelsleute. Der Rauch der Dampflok schlägt ihnen entgegen, mit großen baumwollenen Tüchern schützen sie ihre Ware vor der Mittagssonne. Unter dem Blechdach befinden sich die Abteile erster und zweiter Klasse. Hier sitzen die Mächtigen des Landes: die türkischen Soldaten, die Ägypten mit ihren Krummsäbeln im Namen des Sultans besetzt halten, und die britischen Geschäftsleute, die den Vizekönig von Ägypten, den Khediven, mit Geld gefügig machen.
    Mitten unter ihnen befindet sich Werner Munzinger. Er ist jetzt zwanzig Jahre alt, spricht nach drei Jahren Studium fließend Arabisch und Hebräisch und will seine Kenntnisse mit einem Sprachaufenthalt in Kairo vervollkommnen. In seiner Brusttasche steckt sorgfältig verstaut ein Wechsel des Vaters, der für ein halbes Jahr reichen soll. Werner schaut aus dem Fenster. Endlos ziehen die Weizen- und Baumwollfelder vorbei, auf denen die Bauern viermal jährlich ernten können. Ab und zu taucht ein Dorf aus ungebrannten Lehmziegeln auf. Zäune sind in der ganzen weiten Ebene nicht zu sehen. Damit das Vieh nicht wegläuft, binden die Bauern ihre Tiere einfach aneinander. Werner sieht einer |50| solchen Karawane hinterher: Zuvorderst grast ein Wasserbüffel, hinter ihm ein Kamel, zuhinterst ein Maulesel.
    Stunden später fährt der Zug in Kairo ein, und Werner steigt aus. Ins Hotel will er jetzt noch nicht. Sein kleiner Koffer ist leicht genug für einen ausgedehnten Stadtrundgang. Kairo ist am späten Nachmittag ein einziger großer Jahrmarkt. Alle Welt trifft sich in den Straßen, um Handel zu treiben oder einen Schwatz zu halten. Die Fenster der Häuser haben hölzerne Erker und in deren Mitte kleine quadratische Luken, aus denen da und dort eine verschleierte Gestalt in die Gasse hinunterspäht. Viele Straßen sind hoch oben von einer Häuserzeile zur anderen mit Binsenmatten überdacht, so daß es unten auf dem Pflaster angenehm schattig und kühl ist. Werner bahnt sich seinen Weg durch das Gewimmel. Bei jedem Schritt muß er einem Entgegenkommenden ausweichen, alle paar Meter einen Straßengraben überspringen oder einen am Boden liegenden Bettler umgehen. ›Wer hier blind ist, hat nichts zu lachen‹, denkt Werner, und er sieht Hunderte von Blinden   – Männer, Frauen und Kinder   – an sich vorbeiziehen; wie zerstochenes Eigelb sind ihre Augen ausgelaufen, als ein böser Wurm von innen ihre Augäpfel erreichte. Plötzlich kommen zwei Diener angerannt und vertreiben mit silberbeschlagenen Bambusstäben die Menschen von der Straße. Sie machen Platz für die türkische Kutsche, die viel zu schnell durch die enge Gasse fährt. Der Kutscher schreit, im Innern lehnen sich die vornehmen Türken stolz zurück und schauen mit Eroberermiene auf das Volk hinab. Werner geht weiter und gelangt in einsamere Viertel, |51| wo viele Häuser leer stehen und aus schwarzen Fenstern drohend auf die Straße starren. Vorsichtig betritt er Ruinen von Moscheen, deren Kuppeln eingebrochen sind und die rasch wieder zum Wüstenstaub zerfallen, aus dem sie geformt wurden. Endlich kommt er zur Zitadelle, der trotzigen Burg, die der mächtige Sultan Saladin vor siebenhundert Jahren hoch über der staubfarbenen Stadt errichten ließ. Im Hotel schreibt Werner ins Tagebuch:
     
    Dort oben stand ich auf der Citadelle von Cairo, wo Mohammed Alis Grabmoschee auf die verfallende Stadt hinuntersieht. Es war ein Abend, wie sie der Orient so wunderklar hat. Noch stand die Sonne über dem Horizont, und ihre Strahlen hingen im Scheiden an den Hunderten von Minaretts. Es war ein Anblick, eigentümlich schön, herrlicher, als was ich je gesehen: dort im Westen der über die Ufer getretene meergleiche Nil, der alte Befruchter des Landes; noch weiter gegen Abend die in den Wüstensand scharf gezeichneten Pyramiden, die schon andere Zeiten gesehen haben und noch manche Stadt

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