Murray, Paul
findest,
Darling, ruf ruhig wieder an, ja?«
»Ja, sicher, mach ich.«
»Das ist
jetzt die Gelegenheit für dich, Charles. Du
hast die Flügel ausgebreitet, jetzt musst du fliegen. Wir sind ja alle so
furchtbar stolz auf...«
Ich legte
auf. Harry! Mein Blut kochte vor Zorn. Dieser eingebildete Affe mit seinen
Trojanischen Pferden und der extravaganten Frisur, jetzt war doch tatsächlich
er das Goldstück. Ich hob den Hörer wieder ab, rief die Rezeption an und sagte
ihnen, dass ich verlängern wolle.
»Gewiss,
Sir«, sagte das Mädchen. »Ihre Zimmernummer, bitte.«
Ich gab ihr die Nummer. »Einen
Augenblick, bitte«, sagte sie. »Mr. Hythloday?«, sagte sie, als sie wieder dran
war. »Ja?«
»Tut mir Leid, Sir, aber es ist
nichts mehr frei.«
»Auch kein Einzel? Für eine Nacht?«
»Tut mir Leid, Sir.«
Der
Bursche von der Rezeption war schneller gewesen! Allmählich beschlich mich das
unangenehme Gefühl, Gefangener einer Maschinerie zu sein, auf die ich keinen
Einfluss hatte. Als sei ich seit meinem Weggang aus Amaurot einem allmächtigen,
launischen Schicksal unterworfen und könne nichts weiter tun, als diesem
willenlos bis dahin zu folgen, wo es mich haben wollte. Ich nahm den letzten
Baileys aus dem Kühlschrank unter dem Spiegel, schüttete ihn in einen
Plastikbecher und ging zum Fenster. Das Radisson war von ein paar tausend
Quadratmetern Park umgeben, Land, das früher zu einem Nonnenkloster gehört
hatte. Vielleicht hatten die Nonnen hier bei schönem Wetter Schlagball und
Blinde Kuh gespielt. Es half nichts: Ich würde mir ein anderes Hotel suchen
müssen, vorzugsweise ein billiges. Ein paar gültige Kreditkarten hatte ich
noch. Ich ging zurück zum Nachttisch, hob den Telefonhörer ab und wählte Franks
Nummer, um ihm zu sagen, dass der Umzug abgeblasen sei.
»Was ist
passiert?«, fragte Frank. Er hatte mit irgendwas den Mund voll.
»Das
spielt jetzt keine Rolle«, sagte ich gereizt. »Der Punkt ist, dass ich für ein
paar Wochen was anderes finden muss.«
»Kostet
dich wahrscheinlich 'ne Stange, oder?«, sagte er. »Diese Läden reißen einem
ganz schön was raus.«
»Ich
werd's überleben«, sagte ich knapp.
»Sicher«,
sagte er und machte eine Pause, um seine Chicken Balls herunterzuschlucken.
Plötzlich, mit der unerschütterlichen Gewissheit einer Offenbarung, wusste ich,
was er da aß. »Tja, wie wär's, wenn du ein paar Tage bei mir pennst?«
Ich war
von den Socken. »Was?«, stammelte ich.
Er
wiederholte sein Angebot, und ich suchte nach einer Ausrede, um nicht annehmen
zu müssen. Doch nach all dem Durcheinander des Abends war ich unfähig, noch
klar zu denken. »Ich will dir keine Umstände machen«, sagte ich lahm.
»Drauf
geschissen«, beruhigte er mich.
Ich hatte
den Eindruck, als hörte ich in weiter Ferne jemanden singen, vielleicht die Geister
von Nonnen. »Nun ja, das ist sehr nett«, sagte ich und versuchte dankbar zu
klingen. »Das ist wirklich sehr nett.«
»So bin
ich halt«, sagte Frank.
Also nahm
ich am nächsten Morgen meine Koffer, verließ das Zimmer, fuhr mit dem Lift
hinunter in die Lobby und gab meinen Schlüssel ab. Jeder Bewegung, jeder
winzigen zwischenmenschlichen Aktion schien eine besondere Bedeutung
zuzukommen, als sei sie irgendwie geweiht, wie die Schritte, die ein Gefangener
im Geiste mitzählt, während man ihn aufs Schafott führt. Frank wartete
draußen. Er lehnte mit verschränkten Armen an seinem verrosteten weißen
Lieferwagen. Auf die verdreckte Seite hatte jemand einen Penis gemalt. »Alles
paletti?«
»Bombig«,
sagte ich. »Bombig.«
Franks
Wohnung befand sich in einem hohen Gebäude aus rotem Ziegelstein, das mal ein
respektables, ja ehrwürdiges Stadthaus gewesen sein musste - georgianischer
Stil, nach dem Oberlicht über der Haustür zu schließen. Hier und da sah man
noch Spuren seiner glanzvolleren Vergangenheit: grazile Schnörkel an den
Simsen, Überreste des ursprünglichen Putzes. Aber das waren nicht mehr als
Spuren, wie Tonscherben im Dreck. Der Ruß von Jahrzehnten hatte die Fassade
geschwärzt und zerfressen. Das ursprüngliche Innenleben des Hauses war im Zuge
der Aufteilung in immer kleinere Wohnungen fast gänzlich ausgeweidet worden.
Der aktuelle Hausbesitzer war ein ehemaliger Polizist, der in der Gegend
mehrere Objekte besaß und laut Frank sogar für einen Bullen ein »ziemlicher
Scheißhaufen« war.
Apt C
bestand fast völlig aus Ecken. Als hätte der Bauherr aus allen Nischen und
Vertiefungen, die am Ende
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