Murray, Paul
sei. Die Angelegenheit war ganz und gar
harmlos gewesen. Nach ein oder zwei Drinks, ich hatte wohl vorübergehend nicht
mehr an meine grässliche Verunstaltung gedacht, hatte ich es für einen
lustigen Einfall gehalten, das Mädchen damit zu überraschen, hinter einer
Säule hervorzuspringen. Aber sie hatte das Lustige daran nicht teilen können,
vielmehr hatte sogar der Hotelarzt kommen müssen, um ihr ein Beruhigungsmittel
zu verabreichen. Obendrein hatte sich herausgestellt, dass ihre Eltern
Amerikaner waren, die ja immer etwas humorlos sind, wenn jemand ihre Kinder
erschreckt. Mit einem Wort, sie hatten sich an der Rezeption beschwert, und so
war entschieden worden, dass ich ein übles Subjekt sei und so bald wie möglich
verschwinden solle. Ich erfuhr dies vom Zimmermädchen, nachdem ich sie eines
Morgens zur Rede gestellt hatte, warum sie keine von diesen kleinen
Gratispfefferminzplätzchen mehr auf mein Kopfkissen lege.
Das Ende
der Geschichte war, dass um acht Uhr am Abend vor meiner Abreise die Koffer,
die ich Mrs P von Amaurot hatte herüberschicken lassen, gepackt waren und ich
für den nächsten Morgen, zehn Uhr, Frank bestellt hatte, um mir mit seinem
Lieferwagen beim Umzug zu helfen. Ich lag auf dem Bett und trank eine
Minibarflasche Creme de Menthe, als das Telefon klingelte. »Mr Snooks für Sie«,
sagte der Empfangschef.
Es gab ein
Problem mit dem Zimmer. »Der Kerl, der ausziehen sollte, liegt mit einer
Erkältung im Bett«, sagte Boyd. »Er kann noch nicht ausziehen.«
»Heilige
Verdammnis«, sagte ich.
»Garstig,
garstig«, sagte er mandelwund pfeifend. »Es hat uns alle erwischt. Schätze, ihm
geht's bald wieder besser. In ein, zwei Wochen hat er sich verpisst. Hoffe, du
kriegst jetzt keinen Ärger.«
»Na ja,
kann man nichts machen«, sagte ich. Und weil er selbst auch nicht sonderlich
gesund klang, sagte ich ihm, er solle sich keine Sorgen mache, ich würde mir
schon anderweitig helfen.
»Das nenn
ich Kampfgeist«, sagte Boyd und unterdrückte ein Niesen. »Und denk an die
Stewardessen.«
Ich legte
auf und biss mir auf die Unterlippe. Die geplünderte Minibar gaffte mich von
der anderen Seite des Zimmers anklagend an. Das war ein Schlag, in der Tat.
Ich holte meine Adressbuch und rief die nächste halbe Stunde Bekannte an, ohne
Erfolg. Die sich nicht nach London verdrückt hatten, wie zum Beispiel Pongo,
lebten in Dublin unter tödlicher Terrorherrschaft ihrer Vermieter - tyrannische
viktorianische Teufel, die ihnen nicht mal erlaubten, ein Bild an die Wand zu
hängen geschweige denn Gäste zu beherbergen. »Tut mir Leid, Charles«, brummten
sie, bevor sie es plötzlich eilig hatten, »du, ich muss jetzt los.«
Schließlich
schien ich keine andere Wahl mehr zu haben, als meinen Stolz
hinunterzuschlucken und zu Hause anzurufen. Unnötig zu erwähnen, dass Mutter
abhob. »Charles, wie schön, dass du mal anrufst. Gerade habe ich zu Mrs P
gesagt, wie es wohl Charles geht. Ich kann immer noch nicht ganz glauben, dass
du flügge geworden bist, wir vermissen dich alle schrecklich...«
»Wirklich?«,
sagte ich. Vielleicht würde es ja doch nicht so demütigend werden. »Weil,
eigentlich...« Ich erzählte ihr von Boyd und meiner misslichen Lage.
Als ich
fertig war, herrschte verlegene Stille. Als Mutter wieder zu sprechen anfing,
hatte ihre Stimme diesen gleichsam tragischen, übermäßig ausgleichenden Klang,
den sie immer dann hatte, wenn jemand Mutter aus Gedankenlosigkeit in die Bredouille
gebracht hatte. »Ach je, Charles ... jetzt bringst du mich aber in
Verlegenheit«, sagte sie. »Wir haben im Moment so viel um die Ohren, Darling. Heute
Abend ist Premiere in der Stadt, und dann ... nun ja, wir haben gedacht, jetzt,
da du ja nicht mehr hier...«
»Sag bitte
nicht, dass du die Unterprivilegierten in meinem Zimmer einquartierst hast«,
unterbrach ich sie harsch. »Ich will nicht, dass mein Bett mit Läusen oder
sonst was verseucht wird.«
»Ach, doch
nicht die Unterprivilegierten, nein, nein«, sagte sie mit seidenweicher Stimme.
»Harry, wir haben es Harry gegeben.«
Sie
wartete eine Sekunde, und dann, als ich nichts sagte, fügte sie munter hinzu:
»Aber wenn du wirklich mal in der Klemme bist, du kannst natürlich immer auf
der Couch schlafen ... Vielleicht hat ja auch einer deiner Freunde ein Bett
übrig, hmm?«
»Ja,
sicher, gute Idee«, sagte ich mit zusammengepressten Zähnen, als wäre ich
darauf noch gar nicht gekommen. »Ich ruf gleich mal rum.«
»Und wenn du nichts
Weitere Kostenlose Bücher