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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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übrig geblieben waren, noch eine Extrawohnung
zusammengeschustert. Die Zimmer schwankten irgendwie, was im Bauwesen eher
unüblich war. An bestimmte Wände konnte man sich nicht anlehnen, weil - Zitat
Frank - »die die Decke oben halten«. Sogar das Tageslicht hatte seine Mühe,
sich in den Extravaganzen der Wohnung zurechtzufinden: Es fiel durchs Fenster
und hielt dann abrupt, sozusagen mit einem Finger auf den Lippen, inne.
Folglich war es immer ziemlich dunkel - oder dumpfig, ja, dumpfig war das
bessere Wort. Es war die bei weitem dumpfigste Wohnung, in der ich je gewesen
war.
    Ich
schlief auf einer Matratze von zweifelhafter Herkunft, in einem Raum, der etwa
die Größe einer der kleineren Besenkammern in Amaurot hatte. Neben meinem
Lager, aufgeschichtet zu einem kleinen Haufen, lagen jene Habseligkeiten, die
die Gäste des Coachman freundlicherweise nicht gestohlen hatten - ein
erbauliches Buch, Rasierzeug, mein zweitbestes Dinnerjackett, Socken,
Gene-Tierney-Memorabilien, ein Tagebuch für Gedanken, die bis dato noch
weitgehend ungedacht waren. Den meisten Platz in der Wohnung nahm Franks
Schrott ein. Jeden Tag kam er mit mehr an. Er schleppte ihn in Kisten von
seinem Lieferwagen in die Wohnung und kippte ihn hin, wo gerade Platz war. Zigarettenetuis,
Balettschuhe, Fensterrahmen, Gesangbücher, Ecksteine, Registrierkassen,
Schaukelpferde, Tapetenleisten, Apparate mit fehlenden Teilen, Teile ohne die
dazugehörigen Apparate - wohin man auch schaute, von überall blickten einen
ausgemerzte Bestandteile von anderer Leute Leben an. »Ich kapier's einfach
nicht«, sagte ich, während ich einen Tennisschläger ohne Bespannung
inspizierte, den er gerade angeliefert hatte. »Woher weißt du, was noch einen
Wert hat und was nur Müll ist?«
    Er dachte
kurz nach. »Was die Leute nicht kaufen, ist Müll«, sagte er.
    »Oh«,
sagte ich.
    Das meiste
kauften sie. Es waren unübersehbar gute Zeiten für das Entrümpelungsgewerbe.
Die halbe Stadt wurde abgerissen und wieder neu aufgebaut. Man kaufte die
Sachen für ein Butterbrot und verkaufte sie dann zu einem Spitzenpreis an all
die Leute, die einen neuen Pub, ein neues Hotel oder ein neues Haus hatten und
ihrem Besitz einen Hauch Authentizität verleihen wollten. »Dieser ganze alte
Scheiß hier«, sagte Frank und wedelte mit der Hand über den neuesten Plunder,
der auf dem Boden verstreut lag. »Hufeisen, Straßenschilder, Feuerwehrhelme und
so was alles - die Burschen mit den Pubs prügeln sich drum. Die hängen sich den
alten Krempel an die Wand, da sind die ganz geil drauf, damit's älter aussieht.
Gleiche mit den Wohnungen. Die Leute wollen das nicht, dass das alles so neu
ist. Die wollen sich dran erinnern, wie das in den alten Zeiten war.«
    »Wenn die
so scharf auf die alten Zeiten sind, warum hören sie dann nicht einfach auf,
die alten Häuser abzureißen?«, fragte ich.
    »Weil wir
dann alle keinen Job mehr haben.«
    So wie er
in Haufen durcheinander dalag, schien der Schrott eine Art generischer Identität
angenommen zu haben - sie erfüllte den Raum mit etwas Abgestandenem,
Melancholischem, Vergangenem, wie der Duft eines alten Parfüms. Tagsüber, wenn
Frank außer Haus war, hatte ich ein klein wenig das Gefühl, selbst ein Relikt
zu sein. Ich hatte nichts zu tun, außer mit den Troddeln meines Morgenmantels
herumzuspielen - was an sich nicht sonderlich ungewöhnlich klingen mag, aber
es war eine andere Art des Nichts, es war ein nervöses, ruheloses,
unbefriedigendes Nichts. Abgesehen von kurzen Ausflügen zur Tankstelle, wo man
zu Fantasiepreisen das Notwendigste kaufen konnte, verließ ich die Wohnung
kaum. Meistens saß ich am Fenster und schaute hinaus auf das grausige
Elendsviertel.
    Die
Straßen von Bonetown waren grau und trostlos, ohne Bäume, ohne jeden
Farbtupfer, und dieses Grau und diese Trostlosigkeit hatten sich in die
Gesichter der Bewohner eingegraben. Mir fielen zwei unterschiedliche Schichten
innerhalb der Bevölkerung Bonetowns auf. Erstens: die Eingeborenen. Diese
waren - offen gesagt - eine genauso rüpelhafte Bande von Rabauken, wie man sie
überall auf der Welt findet. Sie waren ungehobelt, schlecht gekleidet,
verbrachten ihre Tage damit, vom Pub zum Buchmacher und von da zur Tankstelle
zu ziehen, und hatten eine anscheinend unendliche Zahl von Kindern - von denen
viele, so mein Eindruck, eine starke physische Ähnlichkeit mit Frank aufwiesen.
Als ich dies ihm gegenüber erwähnte, leckte er sich nur die Lippen und machte
eine

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