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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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geheimnisvolle Bemerkung, dass eine äußerliche Ähnlichkeit ja noch keinerlei
gerichtsverwertbare Beweiskraft habe.
    Die zweite
Gruppe, die nur wenig Kontakt mit der ersten hatte, war die der Ausländer.
Diese traten in allen Formen und Größen auf und waren, so erzählte es mir
wenigstens Frank, quasi über Nacht hier aufgetaucht. Niemand schien zu wissen,
woher sie kamen und wie genau sie hier gelandet waren. »Vielleicht ist ja
dieses Theater da unten in Bosnien schuld daran«, mutmaßte ich. »Wie bei Mrs P
und ihrer Familie.«
    »Oder
woanders«, sagte Frank achselzuckend. »An Kriegen gibt's immer Nachschub.«
    Keiner von
ihnen schien Arbeit zu haben, was mich auf die Idee brachte, das zu unseren
Gunsten auszunutzen und vielleicht einen von ihnen dazu zu bewegen, gegen ein
relativ geringes Entgelt unsere Wohnung zu putzen. Frank zerstörte meine
Hoffnungen jedoch umgehend. »Meine alte Dame war Putzfrau, Charlie«, sagte er.
»Da hätt ich 'n komisches Gefühl dabei.«
    Bei Nacht
übernahm die ansässige Jugend den Straßenzug. Von denen, die kein Interesse
daran hatten, die ältere Bevölkerung auszuplündern oder zu terrorisieren,
erwartete man, dass sie sich ins Haus zurückzogen oder die Folgen trugen. Die
Jugendlichen vergnügten sich auf vielfältige Weise. Manchmal zündeten sie
Sachen an oder sprühten Hakenkreuze auf die Wohnungstüren von Asylbewerbern;
gelegentlich tauchte auch einer von ihnen in einem gestohlenen Wagen auf und
sorgte für ein paar fröhliche Stunden, in denen man die Straße rauf und runter
donnerte. Meistens jedoch standen sie einfach in bedrohlichen Gruppen an
Straßenecken herum und verkauften sich gegenseitig Heroin. Die Gebäude
vibrierten von dem ewigen Gekreische. Immer fing irgendwo ein Baby an zu
plärren, und durch die Wände konnte ich mir die Streitereien unserer Nachbarn
anhören. Mehrmals hörte ich Schüsse, die aus der Richtung des Coachman kamen.
Frank erzählte, dass Männer hier aus der Straße sich ihre Schrotflinten
geschnappt, Sturmhauben übergezogen und den Laden ausgeraubt hatten, um dann
am nächsten Tag wieder reinzumarschieren und mit der Beute ihre Drinks zu bezahlen.
    Manchmal,
wenn ich am Fenster vor mich hindöste, sah ich, dass ein Augenpaar aus dem
gegenüberliegenden Wohnblock mich anschaute, und dann dachte ich an Mirela, wie
sie mir engelsgleich aus dem Turm in Amaurot zugewinkt hatte. Oder ich sah die
mondgesichtigen Kinder mit ihrem Einkaufswagen; das eine schob immer, das
andere stand immer im Korb, hielt sich mit seinen kleinen Fingern am Gitterrand
fest und schaute zur Seite. Sie rumpelten vorbei wie verdreckte Pilger, die
ihre Mission und ihr Ziel vergessen hatten und nun endlose Runden in den immer
gleichen Sackgassen drehten.
    Dass mir
das Zusammenleben mit Frank alles andere als angenehm war, muss wohl kaum
erwähnt werden. Vor allem in den ersten Tagen - so ungefähr muss sich Jack
gefühlt haben, zusammen mit diesem Engländer fressenden Riesen auf der Spitze
der Bohnenstange. Ein Effekt des Hobbesschen Albtraums, der um mich herum
ablief, war allerdings, dass Frank mir dadurch vergleichsweise harmlos vorkam.
Außerdem hatte ich über so viele Dinge nachzudenken, dass ich mich schon bald
an seine kleinen Gefälligkeiten wie Mahlzeiten aus der Mikrowelle oder
schlechte Witze gewöhnt hatte...
    »Hey,
Charlie, weißt du eigentlich, wie Blondinen Vögel killen?«
    »Komm grad nicht drauf, mein
Alter.«
    »Sie schmeißen sie vom Balkon.«
    »Ha, ha, gut, sehr gut. Ich
glaube, ich hau mich jetzt hin.«
    »Es ist erst acht, Charlie.«
    »Hab
morgen einen schweren Tag«, sagte ich und erhob mich ächzend aus dem Sofa.
»Schweren Tag?«
    »Na ja,
nicht wirklich schwer, ich meine, ich dachte ... vielleicht schaue ich mir den
einen oder anderen Film an ... Da fällt mir ein, könntest du mir vielleicht
noch mal mit fünfzig Pfund aushelfen, alter Junge? Wir brauchen anständigen
Wein. Wenn ich weiter diesen erbärmlichen Tankstellenriesling trinken muss,
krieg ich ein Magengeschwür.«
    »Äh ...
klar, Charlie, kein Problem.« Er zog ein dickes Bündel aus der Tasche und
zupfte die Scheine heraus.
    »Danke. Also dann, gute Nacht.«
    »Nacht, Charlie.«
    An den meisten
Abenden gingen Frank und seine Kumpels einen trinken, und am nächsten Tag
ergötzte er mich dann mit Geschichten über ihre Heldentaten - wie irgendein
Kerl namens »Ste« von irgendeinem anderen Kerl namens »Mick the Bollocks«
irgendein Zeug namens »Speed« kauft und sich

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