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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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eine sorgsam formulierte Entschuldigung in den Himmel; ich
simuliere eine lebensbedrohende Erkrankung; ich beende mein Stück und schicke
es ans Abbey-Theater, wo es - idealerweise bis kommenden Mittwoch - mit Bel Hythloday
in der Hauptrolle unter großem Beifall uraufgeführt wird; ich rufe Mutter an,
präsentiere eine erschöpfende Analyse von Bels Verhalten in jüngster Zeit und
beweise ihr so, dass Bel nicht reisefähig ist; ich ziehe mir tatsächlich eine
lebensbedrohende Krankheit zu, nämlich das nach intensiver Zusammenarbeit mit
Boyd Snooks zum Ausbruch gekommene Lassafieber. Doch die meiste Zeit machte
ich das, was ich am besten konnte, nämlich nichts.
    Gelegentlich
dachte ich daran, die Arbeit an meiner Monografie wieder aufzunehmen. Ich war
inzwischen in den fünfziger Jahren angelangt. Alle Filme waren jetzt in diese
gespenstische Hollywoodfarbe getaucht, die alles gleichsam grell und verbraucht
aussehen ließ. Gene benutzte schon seit Jahren kein Make-up mehr, doch die überreifen
Farbtöne durchtränkten auch sie und betonten das Geistesabwesende, das den Kern
ihres Spiels ausmachte. Hatte sie sich schon in ihren früheren Filmen zu verbergen
versucht, so war sie in den letzten vier Filmen - Personal
Affair, The Egyptian, Black Widow und The Left
Hand of God - endgültig verschwunden. Schlafwandlerisch wäre eine
freundliche Umschreibung: Alles an ihrem Spiel verwies darauf, dass sie als
Mensch eigentlich nicht mehr da war - die Trägheit, die leblosen Bewegungen,
die wunderschönen, überschatteten Augen.
    In The Left
Hand of God spielte sie ihre letzte Filmrolle. Sofort nach Drehschluss
floh sie aus Hollywood und verkroch sich bei ihrer Mutter in New York. Die
Studios entließen sie umgehend wegen Vertragsbruchs und warfen ihr öffentlich
Primadonnaallüren vor. Die Reporter jagten sie. Tag und Nacht klingelte das
Telefon, bis ihre Mutter den Stecker herauszog.
    In der New
Yorker Wohnung ging es chaotisch zu. Sie schlief tagelang. Sie erkannte ihre
Freunde nicht wieder. Sie hatte sich nie für Politik interessiert, war aber nun
wie besessen von der Vorstellung kommunistischer Verschwörungen. Sie glaubte,
die Kommunisten wollten sie vergiften, sie glaubte, sie würden in den Büchern,
die sie las, Wörter austauschen. Sie hörte auf zu essen. Dann wieder ernährte
sie sich nur noch von Schokolade, Brot und Butter und nahm binnen weniger
Wochen zwanzig Pfund zu, weil sie glaubte, schwanger zu sein, und deshalb für
zwei aß. Jede Nacht fantasierte sie die Geburt, jede Nacht entführten die Kommunisten
ihr Kind. Dann träumte sie, dass Daria nicht mehr in der Anstalt lebte, sondern
bei einem Ehepaar ein paar Häuser weiter. Ihr Bruder griff sie mitten in der
Nacht auf, als sie an den Nachbarhäusern gegen die Türen hämmerte und ihre
Tochter zurückforderte. Schließlich wurde sie in die New Yorker Irrenanstalt
Harkness Pavilion eingewiesen.
    Die
Elektroschocktherapie wurde damals als Durchbruch bei der Behandlung von
Geisteskranken betrachtet. Indem man dem Gehirn einen elektrischen Schock
verabreichte, glaubte man den Patienten vorübergehend aus seiner Psychose
reißen zu können. Der Schock bewirkte, dass man alles vergaß, und man konnte
kaum - so Genes Kommentar - wegen etwas deprimiert sein, an das man sich gar
nicht erinnerte. Über ein Jahr verteilt, erhielt sie zweiunddreißig dieser
Behandlungen. Jedes Mal wachte sie auf und wusste nicht, wer, wo oder was sie
war. Nach und nach kehrte ein Teil ihrer Erinnerungen wieder zurück - meistens
erst aus der Kindheit, dann aus der Jugend, dann aus der mittleren Phase ihres
Lebens. Die Erinnerungen an die Monate und Jahre vor dem Beginn der Behandlung
kamen nicht zurück. Sie waren einfach verschwunden, aus der Persönlichkeit
gestrichen, als hätte es sie nie gegeben. Als sie Jahre später ihre
Autobiografie schrieb (mit dem selbstironischen Titel Selbstporträt), musste sie sich auf ausgeschnittene Zeitungsartikel, Briefe und das
Wort von Freunden verlassen.
    Ihr Leben
in der Anstalt war eine lange, graue Reise, namenlos, nebelhaft, bestimmt vom
Rhythmus der Stromstöße. Und auf gewisse Weise funktionierte es: Sie war
friedfertig und fügsam; sie strickte, deckte den Tisch, wischte den Boden; sie
war froh, von der Last ihrer Identität erlöst zu sein. Doch das Grauen vor den
Elektroschockbehandlungen blieb. Einmal, so berichtet sie, sei sie im üblichen
Dämmerzustand aufgewacht und plötzlich - natürlich ohne zu wissen, warum - so
wütend

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