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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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geworden, dass sie die Schwester, die sich gerade über sie beugte, ins
Gesicht geschlagen habe. Aus Rache habe die Schwester sie in die Station für
die hoffnungslosen Fälle gesteckt. Gene war jedoch so weggetreten gewesen, dass
sie die Patienten dort für Schauspieler der Stanislawskij-Schule gehalten hat.
Den ganzen Tag stand sie nur da und applaudierte ihnen.
    Mir kam
der Gedanke, dass es vielleicht gar keinen so großen Unterschied machte,
Schauspieler in Hollywood oder Patient in einem Irrenhaus zu sein. Wie das
Studio so kontrollierte auch die Anstalt rigide jeden Aspekt des Lebens: Image,
Tagesablauf, wie man dachte, sprach und handelte. Die Patienten waren wie
Schauspieler, die sich so tief in das Drehbuch verstrickt hatten, dass sie
nicht mehr aus ihm herausfanden. Vielleicht war das der Grund, warum Gene
schließlich entlassen wurde. Sie wusste, wie das System funktionierte und was
sie von einem wollten. Und sie hatte, was sie ihren Modeltrick nannte: die
Fähigkeit, ihr Aussehen an jede geforderte Szene anzupassen. Händler, Outlaw,
Dustbowl-Salome, Frontiergirl, Aristokrat; arabisch, eurasisch, polynesisch,
chinesisch - sie wusste sich auf Abruf umzustellen und konnte zu gegebener Zeit
den Eindruck erwecken, als sei alles in bester Ordnung. Und niemand bekam etwas
mit. Zumindest machte sich niemand die Mühe eines Blicks hinter die liebliche
Fassade, auf das, was da immer noch brodelte.
    Aber ich
bekam es mit. Vielleicht deshalb, weil die grelle Aufdringlichkeit und
dürftige Handlung ihrer letzten Filme auf seltsame Weise zu dem verwaschenen
Grau und Schwarz meiner vorwinterlichen Welt passten, in der jeder kürzere Tag
einer immer enger werdenden Schlinge glich. Ihr schlafwandlerisches Spiel
schien eine Saite in mir anzuschlagen, aus der sich eine traurige, uns beiden
vertraute Melodie entwickelte.
     
    Am Abend,
als Frank und Droyd ihren Krach hatten, fing es an zu regnen, und es hörte nicht
mehr auf. Es war, als hätte man den Bauch des Himmels aufgeschlitzt. Das Wasser
peitschte mit einer Wucht gegen die Fensterscheiben, dass man von der Außenwelt
nichts mehr erkennen konnte. Die Wände der Wohnung zitterten und ächzten unter
den Windböen. Einmal schien sich das gesamte Gebäude vornüber zu neigen,
sodass die mit Krempel vollgestopften Regale ihren Inhalt auf den Boden
kippten.
    Ich saß im
Morgenmantel vor dem Fernseher. Noch war der Empfang passabel, auch wenn sich
alle paar Sekunden wie ein nervöses Zucken rauschender Schnee auf der
Mattscheibe zusammenballte. Frank arbeitete mit Laura an den Bücherregalen in
seinem Zimmer, womit sie anscheinend - nach den Geräuschen zu urteilen, die sie
dabei machten - nur sehr langsam voranzukommen schienen. Da Frank aber ohnehin
keine Bücher hatte, gab es wohl auch keinen Grund für besondere Eile. Als es an
der Tür klopfte, erschien von irgendwoher Droyd und machte auf. Drei
ausgemergelte junge Burschen standen im Flur.
    Droyd,
darauf sollte ich an dieser Stelle hinweisen, hatte nichts mehr gemein mit dem
ungehobelten Rüpel, als der er bei uns eingezogen war. Natürlich klopft man
sich nur zögerlich auf die eigene Schulter oder streicht den eigenen
zivilisierenden Einfluss heraus, doch schien Droyd aus welchem Grunde auch
immer vollkommen geheilt zu sein. Er spielte jetzt kaum noch seine Musik,
sondern saß meist lammfromm am Fenster oder vor dem Fernseher. Man konnte
sogar sagen, dass er für einen Burschen seines Alters fast zu ruhig war. Mit
seiner musikalischen Karriere schien er abgeschlossen zu haben, und er schien
auch mehr zu schwitzen als früher. Aber ich will hier keine Haare spalten.
Jedenfalls hatte er mich seit Wochen schon nicht mehr Schwuchtel genannt und
auch nicht versucht, mir meine Brieftasche zu klauen.
    Egal,
Droyd rief mir also von der Tür aus zu, dass er noch ein bisschen Fußball
spielen wolle, und ob das okay sei, und ich antwortete, dass ich nicht wüsste,
warum nicht, wobei ich allerdings nicht so genau hinhörte, weil man sich bei
dem Empfang schon voll konzentrieren musste, um überhaupt ein Wort zu
verstehen. Und das wäre es dann gewesen, wenn nicht in diesem Augenblick Frank
aus seinem Zimmer gekommen wäre und gefragt hätte, was los sei.
    »Geh nur
noch kurz raus, 'n bisschen Fußball spielen«, sagte Droyd, als es über dem Dach
gerade gewaltig donnerte.
    Erst
dachte ich, dass Frank ihn nicht gehört hätte. Er schaute die ausgemergelten
Burschen lange und eingehend an. Dann sagte er:

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