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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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Mischung aus Mitgefühl, Angst
und kaum verhohlener Erleichterung zum Ausdruck brachten.
    »Andere
Modelle können auf die Herstellung von Baguettes, Sodabrot, Pasteten oder was
auch immer programmiert werden«, rief Mr Appleseed laut und zog so die
Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Wir hoffen, Fresh & Crispy bis Ende des
Monats auf vollautomatische Produktion umgestellt zu haben.« Der Luftdruck
fiel spürbar, als dreihundert Menschen scharf einatmeten. »Wir fangen heute mit
der Umstellung an«, fuhr Mr Appleseed fort. »Fresh & Crispy schließt heute
Nachmittag seine Tore und bleibt geschlossen, bis die Umstellung komplett
vollzogen ist. Mir bleibt also nur noch, euch für die Monate beziehungsweise
Jahre engagierter Mitarbeit zu danken und für die Zukunft alles Gute zu
wünschen.« Er schaute auf uns herunter, als sei er überrascht, dass wir
überhaupt noch da waren. »Das ist alles.«
    Niemand
sagte etwas, niemand rührte sich.
    »Moment!«,
rief ich.
    »Ja,
Arschgesicht? Noch Fragen?«
    »Wir sind
also gefeuert? Alle?«
    »Ich bin
dir dankbar für die Frage, Arschgesicht. Es ist nämlich wichtig, dass in diesem
Punkt erst gar keine Unklarheit aufkommt. Die Antwort darauf lautet: Nein. Die
Behauptung, dass wir euch feuern, trifft nicht zu. Euer Arbeitgeber ist und
bleibt die Agentur für Arbeitsvermittlung, von der wir euch geleast haben. Die
konstruktivere Sichtweise ist also, dass die Agentur ihren Vertrag mit Fresh &c Crispy
hiermit erfüllt hat. Und ihr könnt stolz darauf sein, dass ihr eure Arbeit so
gut erledigt habt. Ich sollte noch anfügen, dass jeder von euch, der über
entsprechende IT-Qualifikationen verfügt, herzlich eingeladen ist, seinen
Lebenslauf abzugeben, damit wir über eine etwaige Verwendung in unserer neuen
Programmierabteilung für Arbeitsroboter entscheiden können. Noch irgendwelche
Fragen? Nein? Gut.« Er stieg vom Podium und verschwand durch eine Tür in der
Rückwand. Die Maschine schnurrte hinter ihm her.
    Sofort
wurde es wieder laut in der Halle. Und obwohl man Selbstvorwürfe und Klagen
hörte, jammervolle Gesichter und sogar ein paar Tränen sah, schien doch
niemand wirklich überrascht zu sein. Niemand schnappte sich einen der
Plastikcontainer und hämmerte damit auf die Schneidemaschinen ein, niemand
griff sich das Mikrofon und erklärte, dass er erst ginge, wenn Mr Appleseed und
seinesgleichen am Galgen baumelten. Stattdessen schienen alle die Niederlage
einfach so hinzunehmen. Ein paar schlichen schon wieder aus der Halle. Ich war
schockiert. Waren das die Männer, mit denen ich Seite an Seite
Zehn-Stunden-Schichten im Glutofen von Veredelungsbereich B abgerissen hatte?
War das der unbeugsame Geist, der uns den Luxusfresskorb beschert hatte?
    »Sollen
wir die einfach damit durchkommen lassen?«, appelierte ich an meine Kollegen.
»Sollen wir uns einfach wie Hunde auf den Bauch legen?«
    »Was
können wir schon machen?«, sagte Pavel und wandte sich zur Tür.
    »Weiß
nicht«, sagte ich. »Können wir nicht streiken oder so?«
    »Die haben
uns schon gefeuert, Arschgesicht«, wandte Edvin ein. »Macht nicht viel Sinn zu
streiken, wenn man schon gefeuert ist.«
    »Lass man,
du hast schon genug getan«, bemerkte Dzintars mit seiner Reibeisenstimme grob.
»Ich? Was hab ich getan?«
    »Gestänkert,
dauernd gestänkert. Nur arbeiten hat dir ja nicht gereicht. Du musstet ja immer
rumnörgeln.«
    »Ich
wollte doch bloß, dass ihr es leichter habt«, protestierte ich. »Das könnt ihr
mir doch nicht vorwerfen.«
    »Was weißt
denn du, wie es uns geht«, grummelte Dzintars.
    »Das
reicht«, mischte Bobo sich ein. »Hat doch keinen Zweck, jetzt darüber zu
streiten.«
    »Vielleicht
können wir ja was aushandeln«, gluckste Edvin vor sich hin. »Mit dieser ... wie
heißt die noch mal ... Gewerkschaft der Arbeitsroboter, oder?«
    »Sarkasmus
hilft uns jetzt auch nicht weiter«, brummte ich. Meine aufrührerischen Reden
blieben folgenlos. Inzwischen hatte sich nämlich herumgesprochen, dass am
Fabriktor die Gehaltsschecks ausgegeben wurden, und niemand wollte
irgendwelchen Ärger riskieren. Allerdings - ich will hier keinen falschen
Eindruck erwecken - legten sich die Leute auch nicht wie Hunde auf den Bauch.
Vielmehr stopften sie sich die Taschen voll mit Marzipanbrot,
Blätterteiggebäck und allem, was ihnen auf dem Weg zu ihren Spinden sonst noch
unter die Finger kam. Plötzlich wimmelte es in der Fabrik von blau
uniformierten Männern, die wir vorher noch nie gesehen hatten. Sobald

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