Murray, Paul
ein bisschen
seltsam vor?«
Nachdenklich
hob sie die Augenbrauen. »Eigentlich nicht. Nicht bei dir. Denk an deine
Hummer-zum-Frühstück-Phase. Oder an deine Foie-gras-Phase. Und dann dieses
abscheuliche marokkanische Gebräu...«
»Ja, schon
gut ... Aber in letzter Zeit bin ich sehr genügsam gewesen. Ein Croissant und
den Cricket-Teil der Zeitung, das ist alles...«
»Richtig,
aber nur, weil du in letzter Zeit jeden Morgen einen Kater hast. Ich wünschte,
du würdest deinen Alkoholkonsum etwas einschränken, Charles. Weißt du, wie es
im Weinkeller aussieht? Dumme Frage, natürlich weißt du das. Da unten sieht's
aus, als würdest du ganze Busladungen voller Lebemänner versorgen und nicht nur
dich selbst.«
»Besser
Lebemann als tote Hose, wie ich immer sage. Aber jetzt reicht's langsam, sei so
nett und kümmer dich wieder um deine Maquillage.«
Sie verzog
das Gesicht und betupfte mit einer Puderquaste ihre Nase. Bel verwandte immer
viel Sorgfalt auf ihr Äußeres. Ihre Garderobe bestand hauptsächlich aus
Secondhandklamotten, aber ihr Look - Bettelstudent Parisienne, circa '68 - hatte
Raffinesse. Ich fragte mich, wie Frank sich zum Ausgehen ausstaffierte.
Wahrscheinlich war er zufrieden, wenn man die Schraubenbolzen im Hals nicht
sah.
»Wir waren
bei Mrs P. Ich glaube einfach, dass wir uns mehr um sie bemühen sollten. Sie
wird alt, sie braucht unsere Hilfe. Höfliche Fragen nach ihrem Befinden, so
was. Ganz sicher weiß sie ein paar drollige Geschichten aus ihrer Heimat -
Bosnien, oder?«
»Ganz
sicher.«
»Wie ist
es da, in Bosnien? Weißt du irgendwas über das Land?«
»Herrgott,
Charles, drei volle Jahre lang war Bosnien jeden Tag in den Nachrichten...«
»Sag
schon, ist das da, wo die jungen Burschen diese komischen Hüte tragen?«
»Ich
glaub's einfach nicht! Hast du irgendeine Ahnung davon, was in der Welt so
vorgeht?«
»Das ist
ja wohl kaum mein Bier.«
»Ah ja,
Völkermord ist also nicht dein Bier?«, sagte sie sarkastisch und fuhr sich mit
einem winzigen Stift über die Augenbrauen. »Bleibt die Frage: wessen Bier
dann?«
»Ich kann
mich nicht erinnern, dass du viel dagegen unternommen hättest«, erwiderte ich.
»Bist du etwa mit der Spendenbüchse rumgelaufen, oder hast du harsche Briefe
an die UN geschrieben?«
»Spendenbüchse«,
sagte sie und nahm eine Papiernagelfeile. »Der erhabene Menschenfreund.
Lachhaft.«
»Ich habe
den Verdacht, dass du nur deshalb etwas über solche Dinge weißt, damit du dich
mir gegenüber aufspielen kannst«, entgegnete ich. »Tatsächlich habe ich sogar
den Verdacht, dass nur deshalb überhaupt irgendjemand etwas über solche Dinge
weiß, damit er sich als besserer Mensch aufspielen kann. Im Pub regt er sich
dann mächtig auf, und alle anderen kriegen Schuldgefühle, weil sie nicht lange
genug in den Fernseher schauen.«
»Dann geh
halt zu Mrs P und unterhalte dich mit ihr«, sagte Bel übellaunig. »Ich bin
sicher, sie wird hocherfreut sein, deinen fundierten Anschauungen zu lauschen.
Ihr könnt eure Rezepte für Hausmannskost austauschen, du deine weißen Bohnen á la
Charles und...«
»Wohin
führt Frank dich heute Abend eigentlich aus?«, fragte ich, da die Handschuhe
anscheinend zu Hause blieben. »Zur Dachshatz? Zum Schlamm-Catchen? In
irgendeinen schmuddeligen Park, wo man Bier aus Dosen trinkt?«
»Das
Abkommen!«, kreischte Bel empört. »Das Abkommen!«
»Habeas
Corpus«, konterte ich. »Bevor du nicht deinen Teil erfüllst, ist
das Abkommen nicht besiegelt.«
»Ich habe
sie angerufen«, protestierte sie. »Sie hat mir ihre Nummer im Büro gegeben und
gesagt, dass du jederzeit anrufen kannst.«
»Das nützt
mir nichts!«, sagte ich und schlug mit den Händen auf den Tisch. »Du weißt,
dass ich Telefonieren hasse.« Tatsächlich verabscheute ich allen modernen
Technikschnickschnack - Schnickschnack, schon das
Wort hatte einen minderwertigen Klang. »Kannst du sie nicht anrufen und bitten
herzukommen?«
»Was soll
das? Bis du etwa invalide? Ich bin nicht dein Lakai.«
Mrs P
könnte anrufen - nein, das kam nicht in Frage. Das Abkommen war nicht erfüllt
worden, ich würde hart bleiben. »Das Abkommen ist nicht erfüllt worden«, sagte
ich. »Und solange das so ist, befinden wir uns weiter im Krieg.«
»Im
Krieg?«
»Ich muss
darauf bestehen, euch heute Abend zu begleiten.«
»Charles«,
sagte sie mit warnendem Unterton und schaute mich wütend unter ihren mattschwarzen
Augenlidern hervor an.
»Ich
bestehe darauf.«
»Jeden
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