Murray, Paul
Tag
erreichst du einen neuen Tiefpunkt. Ist dir das eigentlich klar?«
»Sei's drum«,
sagte ich friedfertig. »Also, wohin gehen wir?
»Los, Ask Me
Hole, lauf, du lahmer Wichser!« Frank fluchte aus vollem Hals;
zwischendrin schaufelte er sich aus einer Tüte pappige Chips in den Mund.
»Beweg dich, du fauler Scheißhaufen!«
Ich
kicherte still in mich hinein. Mein Hund, Jasper, hatte sich
als ganz vortreffliches Vieh entpuppt, Ask Me Hole und der
Pulk hechelten weit hinter ihm her. Bels Wahl, ein Hund mit dem hirnlosen
Namen Piece of Lightning, hatte anscheinend schon die Segel
gestrichen.
Es war
zwar nicht Ascot, aber die Besitzer hatten sich wacker bemüht, der einer
Hunderennbahn wesenseigenen Verwahrlosung Paroli zu bieten. Von der hell
erleuchteten Bar konnte man durch ein Panoramafenster das Geschehen unten auf
der Bahn verfolgen. Unter die glücklosen Verdammten, die hier ihre Sozialhilfe
verzockten, hatten sich auch einige Gruppen normaler Menschen gemischt. Mit dem
Argument, die Bar sei was für Schwuchteln, hatte Frank uns nach draußen
gelotst, wo wir jetzt zitternd auf der Tribüne saßen - zusammen mit rotäugigen,
verzweifelten Typen, die so spindeldürr waren wie die Hunde, denen sie ihr
ganzes Vermögen anvertraut hatten. Keiner von ihnen war jedoch so Furcht
einflößend wie Frank selbst, was einen seltsam beruhigenden Einfluss auf mich
hatte. Und alle schienen ihn zu kennen. Während der Rennen tauchten Scharen von
Mickers, Antos und Farrellers auf, um ihm ihre Aufwartung zu machen. »Na, wie
läuft's, Francy, noch alle Eier beisammen?«, sagten sie, oder: »Hallo, Frankie,
auch mal wieder 'n Arsch hoch gekriegt?«
Im Freien
sah Frank noch größer aus; Bel wirkte klein und abgemagert neben ihm. Ihre
Augen glänzten schwach, wie kalte blaue Monde. Ich weiß nicht, ob sie immer
noch schmollte, weil ich darauf bestanden hatte mitzukommen. Frank schien es
nichts auszumachen. Oder ob sie sich schämte, weil ich ihn in seinem
natürlichen Milieu sah, oder ob es etwas ganz anderes war. Jedenfalls hatte sie
den ganzen Abend noch keine zwei Worte gesprochen. Ihr Gesicht war in einen
dicken Schal vergraben, die Augen waren starr auf die Bahn gerichtet. Nachdem
er sie zweimal gefragt hatte, ob alles in Ordnung sei oder ob sie ein paar
Chips wolle, hatte Frank sie ihrem Schweigen überlassen. Inzwischen hatten
Frank und ich festgestellt, dass ich eine bis dato unentdeckte Nase für Sieger
hatte, was mich auf seiner Wertschätzungsskala ein paar Stufen nach oben
klettern ließ.
»Was
meinst du, wer macht's im nächsten?«, fragte er respektvoll. »Up the Cliff oder Gordons Couscous!«
»Keiner
von beiden«, sagte ich. »Schau dir doch bloß an, wie die in ihren Zwingern
hängen. Die haben doch gar keinen Mumm mehr. Möglich, dass sie schnell sind,
aber Siegertypen sind das keine. Aber schau dir mal Meet the
Wife an. Diese ruhigen Bewegungen, die stolze, überlegene
Körperhaltung. Ein königlicher Hund. Auf den würde ich setzen. Wenn du mich
fragst - der hat schon gewonnen.«
»Genau.
Na, Bel, wie war's mit 'ner kleinen Wette?«
»Ich hab
kein Geld«, lautete die eisige Antwort.
»Ich pump
dir was. Komm schon.«
»Nee, ist
schon gut«, sagte sie lahm. Sie schaute nicht mal auf.
»Jetzt
komm schon. Ich setz für dich. Meet the Wife, Charlies
Tipp, 'n Fünfer...«
»Nein!«,
sagte sie laut. Plötzlich war sie wieder munter. »Ich will keinen Tipp von
Charles.« Sie schlug das Rennprogramm auf und studierte es. Im kalten Schein
des Flutlichts sahen ihre Finger weiß aus. »Ich setz auf den hier. Nummer
vier.«
Frank
schaute ihr über die Schulter. »An Evening of Long Goodbyes«, las er
laut. »Weiß nicht. Was meinst du, Charlie?«
»Ganz
nette Quote«, sagte ich unparteiisch. »Wenn er was kann. Nummer vier, wo ist
der eigentlich?«
Wir
suchten die Bahn ab. Die Trainer hatten die Hunde herausgeholt und führten sie
auf der Rasenfläche im Innenraum mal schneller, mal langsamer auf und ab. »Ich
seh keine Nummer vier... oh.«
Nummer
vier trug eine wenig schmeichelhafte hellgrüne Nummerndecke. Er saß allein auf
dem abgefressenen Gras und leckte mutlos seine Weichteile. »Hmm, ich weiß
nicht, Bel...«
»Auf den
setze ich«, sagte Bel mit stahlharter Stimme.
»Warum
hörst du nicht auf Charlie, Bel, er gewinnt immer.«
»Du bist
mit mir hier, nicht mit Charles. Außerdem hab ich gedacht, du pumpst mir das
Geld, was kümmert's dich dann, auf wen ich setze?« Sie reckte ihr blasses
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