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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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der Hand eine Tasse schwarzen
Kaffees, in einem großen, leeren Haus umherwandert und schwermütig hinaus in
den Regen schaut - und das mehr oder weniger von morgens bis abends.
    »Ist ja
auch egal. Charles, ich muss über was anderes mit dir reden.« Sie drehte sich
auf dem Stuhl etwas herum und schaute mich jetzt direkt an. Vom Tischende hörte
ich Frank Toast essen und kichern.
    »Ja?« Ich
fühlte mich plötzlich unwohl.
    »Wie lange
genau wirfst du die Briefe schon in die Küchenschublade?«
    »Warum ...
weiß nicht.« Wenn der Postbote kam, war ich normalerweise zu Hause, also
verteilte ich die Post. Private Briefe legte ich ins jeweilige Zimmer, und die
geschäftlichen Sachen kamen in die Küchenschublade, damit Bel sich darum
kümmern konnte, wann immer sie wollte. Weder wusste ich, worauf sie hinauswollte,
noch warum ihr Gesicht diesen beunruhigend ziegelroten Farbton annahm. »Paar
Monate, schätze ich.«
    »Und ist
dir da irgendwann mal der Gedanke gekommen, mir davon zu erzählen?«
    »Erzählen,
wovon?«, sagte ich verwirrt. »Ich meine, das ist doch dein ... dein kleines
Reich, oder?«
    »Und wie,
bitte schön, bist du zu der Annahme gekommen, die Küchenschublade sei mein
kleines Reich?«
    Ihr Ton
gefiel mir nicht. Ich wollte ihr gerade scharf antworten, als mir aufging,
dass ich keine Ahnung hatte, wie ich zu dieser Annahme gekommen war. Ich
zermarterte mir das Hirn. Irgendwann früher mussten wir mal ein Arrangement
getroffen haben, dachte ich. Allerdings war es nicht gänzlich ausgeschlossen,
dass ich irgendwann nach ein paar mittäglichen Drinks die Nachmittagspost
einfach da abgelegt hatte und erst neuerdings davon ausging, dass wir früher
mal ein solches Arrangement getroffen hatten. Wie auch immer, mehr oder
weniger seit Mutter im Cedars war, wanderte sämtliche Post,
Familienangelegenheiten betreffend, in die Küchenschublade. Wenn ich es mir
recht überlegte, so hatte ich mich tatsächlich erst vor kurzem darüber
gewundert, dass Bel sich nicht darum kümmerte.
    »Und?«,
sagte sie.
    »Und
was?«, sagte ich. »Du hast sie ja jetzt, dann ist doch alles in Ordnung, warum
uns noch gegenseitig Vorwürfe machen...«
    »Charles,
hast du dir die mal angeschaut? Weißt du, was das ist?« Sie wedelte mit einem
Packen Umschläge, auf denen komische rote Stempel zu sehen waren. »Weißt du's?«
    »Sonderzustellungen?«,
sagte ich ins Blaue. Frank unterdrückte ein Lachen. »Woher soll ich das
wissen? Das ist dein Ressort, ist immer deins gewesen.«
    »Mein
Ressort«, sagte Bel und warf Frank einen spöttischen Seitenblick zu. »Charles
betreut Speis und Trank, und der Rest bleibt an mir hängen.
    »Hauptsache,
du denkst dran, mich zu betreuen«, sagte Frank anzüglich grinsend. Ihr entfuhr
ein scheues Lächeln, und ich sah, wie sie unter dem Tisch mit ihrem
bestrumpften Zeh seine weiße Socke anstupste. Ich hatte das entschiedene
Gefühl, am falschen Ort zu sein, als sei die Erdkugel aus den Angeln gesprungen
und hätte alles auf ihrer Oberfläche durcheinander gekegelt. So muss sich
Ludwig XVI. gefühlt haben, sinnierte ich, als man ihn aus seiner Gefängniszelle
zum Schafott führte und er zum ersten Mal begriff, dass diese lärmende,
brüllende Horde von Nullen es tatsächlich ernst meinte mit ihrer Revolution.
    »Also, was
sind das jetzt für Briefe?«, sagte ich mit erhobener Stimme - für den Fall,
dass sie meine Anwesenheit vergessen haben sollte.
    »Die sind
von der Bank, Charles!«, brüllte sie zurück und
schlug mit beiden Handflächen auf den Tisch. »Von der Bank, von der
Bausparkasse, von unseren Anwälten und von den Anwälten anderer Leute. Aber die
meisten sind von der Bank.«
    Ein kalter
Schauer lief mir den Rücken hinunter. »Was wollen die bloß?«, sagte ich.
    »Was sie
immer wollen«, sagte Frank gequält. »Die schmeißen kein Geld für Briefmarken
raus, bloß weil sie wissen wollen, wie's dir geht.«
    »Geld. Die
wollen Geld. Da sind Rechnungen dabei, die sind schon Monate alt.
Telefongesellschaft, Elektrizitätswerk, Rundfunkgebühren.« Verzweifelt
schleuderte sie die Rechnungen über den Tisch. »Aber die machen mir noch die
wenigsten Sorgen. Die Bank, das ist der Hammer. Wir sind mit den
Hypothekenzahlungen im Rückstand, und zwar weit im Rückstand. Die denken an
Zwangsvollstreckung.«
    Es dauerte
ein paar Sekunden, bis die Worte einsickerten. Hypothekenzahlungen,
Zwangsvollstreckung - das waren Begriffe, mit denen
ich nur unvollkommen vertraut war, denen man in vornehmer

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