Murray, Paul
vielen Jahren während ihrer
Prinzessinenphase am liebsten getragen hatte; Vaters Erstausgabe der
gesammelten Gedichte von Yeats, ein Acht-mal-zehn-Foto von Gene aus der
Anfangszeit ihrer Karriere, als sie noch das »GET-Girl« genannt wurde, für Gene
Eliza Tierney und weil sie immer bekam, was sie wollte - so hatte es zumindest
den Anschein.
Lauras
Jahrbuchfotos lagen noch in chronologischer Reihenfolge auf der Tagesdecke, so
wie ich sie mir noch vor ein paar Stunden angeschaut hatte. Während ich sie
jetzt betrachtete, fiel mir auf, dass die Fotoserie einer Filmrolle ähnelte -
ein Bild für jedes Jahr. Ließe man sie durch einen Projektor laufen, würde
Laura verwackelt und unscharf zum Leben erweckt: binnen Sekunden von der
Kulleraugenkindheit bis zum luminiszierenden Matineeidol, aus dem Äther
auftauchend wie ein Flaschengeist des Zelluloids ... Und dann spulte mein
Gehirn ungebeten die noch fehlende letzte Rolle ab. Die Szene, in der die
Glocke an der Haustür ertönt, in der ich mir ein letztes Mal entschlossen
durchs Haar fahre, dann zur Treppe eile und auf halbem Weg nach unten innehalte,
gerade als Mrs P eine schlanke junge Frau mit langen honig-farbenen Haaren ins
Haus geleitet, eine Frau, die ihren Wintermantel ablegt und nackte weiße
Schultern und ein schwarzes Kleid enthüllt, das wie eine Flamme züngelnd ihren
Körper umspielt. Unbemerkt stehe ich auf der Treppe, betrachte sie atemlos -
bis sich plötzlich unsere Blicke treffen und wir augenblicklich in eine andere
Welt hinübergleiten: eine Welt voll reiner, tiefer Leidenschaft, voll
geistreicher Bonmots und kühner Taten, die gelegentlich gekrönt werden von
einem gefühlvollen Monolog, wo alles seinen rechtmäßigen Platz hat und kein
Dritter in den Kulissen darauf lauert, den Dialog zu ändern oder die Szene abzubrechen
wegen einer Versteigerung...
Draußen
zeigten sich die ersten Sterne, in deren orangepurpurnem Licht alle Dinge
seltsam aufreizende Schatten warfen. Ich wandte den Blick zum Turm und hatte
für einen Augenblick eine meiner Visionen - die von den herumtollenden Satyrn
und dem Engel, der von der Spitze verstohlen nach unten schaut. Ich blinzelte,
dann waren sie verschwunden. Was ich jetzt sah, war die entschieden
unhalluzinatorische Gestalt von Mrs P, die von einem ihrer ziellosen
Pilgergänge zurückkehrte, die sie so lieb gewonnen hatte. Für wen würde sie
jetzt kochen? Ich nippte an meinem Gimlet. Und wer würde hier am Fenster
stehen, hinausschauen und die Sterne zählen... ?
Und dann
ertönte die Glocke an der Haustür. Ich fuhr mir ein letztes Mal entschlossen
durchs Haar, stürzte die Treppe hinunter, blieb auf halbem Weg stehen und
verfolgte von dort, wie Mrs P aus dem Garten ins Haus und keuchend zur Tür
eilte. Als sie öffnete und ein unvergleichliches Wesen ins Haus geleitete, umklammerte
ich das Geländer...
Sofort war
mir klar, dass mich nichts auf diesen Augenblick hätte vorbereiten können. Es
war überwältigend, ja, besorgniserregend. Sie war schön, zugegegeben,
ausnehmend schön sogar. Zu sehen, wie sie sich in drei Dimensionen bewegte, war
gleichwohl ziemlich schockierend. Meinem überhitzten Geist erschien ihre
Körperlichkeit schamlos, nahezu grotesk: Sie glich weniger einem zum Leben
erweckten Flaschengeist denn einer bunt bemalten Statue in irgendeinem
Hausflur. Auch fiel mir unwillkürlich der eine oder andere Punkt auf, der von
meiner Traumversion ihrer Ankunft abwich. Ihr leuchtendes Haar zum Beispiel war
zu einem zweckmäßigen Pferdeschwanz zusammengebunden. Dann schien es da auch einige
Verwirrung bezüglich der Frage zu geben, ob Mrs P ihr den Mantel abnehmen
durfte. Und als sie ihn schließlich herausrückte, kam kein trägerloses
Abendkleid zum Vorschein, sondern ein maskuliner Allerweltshosenanzug. Ich
stand auf meinem Treppenplatz und fragte mich, ob ich nicht einen
fürchterlichen Fehler gemacht hatte. Doch dann wandte sie mir ihre Augen zu,
und alle Furcht und Sorgen waren ausgelöscht.
Wie soll
ich sie beschreiben, diese unglaublichen Planeten, ohne in Klischees zu
verfallen? Ich will nur sagen, dass ich in ihnen mein eigenes glanzvolles Leben
nach dem Tode sah, eine gesegnete, fruchtbare nächste Welt, wo alltäglich Milch
und Honig fließen würden. Und in meinem Herzen erwachte ein Lied. »Ich wette,
du bist Charles«, sagte sie.
»Ganz
recht«, sagte ich verlegen und schwebte auf einer kleinen Wolke die restlichen
Stufen hinunter.
»Irgendwie
hab ich gewusst, dass du groß
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