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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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ungeachtet unseres gemeinsamen Schicksals hielt ich
es trotzdem für klug, die Dinge so forsch wie möglich voranzutreiben. Deshalb
hatte ich so viele Aphrodisiaka ins Essen mischen lassen, wie von Mrs P
gestattet, und deshalb hatte ich für den Abend auch die Wertgegenstände der
Familie aus den verschiedensten Winkeln des Hauses en masse ins
Speisezimmer bringen lassen (allerdings hatte ich für letztere Aktion einen
tieferen Beweggrund, welcher sich jedoch erst viel später offenbaren würde).
Wahrscheinlich hatte Bel Recht: Es war wahrscheinlich protzig, aber es war die
letzte Gelegenheit, mit der Zurschaustellung von fabelhaftem Reichtum
irgendwen zu blenden, und daraus sollte ich, so meine Überlegung, das Beste
machen. Des Weiteren forderte der Pragmatiker in mir, das Liebesabenteuer in
die Tat umzusetzen, solange ich noch über die notwendige Hardware verfügte,
soll heißen, ein Bett. Man soll diese Dinge ja nicht überstürzen, andererseits
wusste ich nicht, wo ich in zwei Tagen sein würde, und selbst Casanova wäre es
wohl peinlich gewesen, hätte er seine Mätresse nach all der harten Vorarbeit
auf ein nettes Fleckchen Rasen oder hinter einen Müllcontainer bitten müssen.
    »Das
wollte ich die ganze Zeit schon fragen, Charles ... Igitt, wo hast du
denn das her?«
    »Das nennt
man shunga. Das ist eine sehr alte,
wunderschöne japanische Kunstform...« Ich platzierte das Blatt neben eine
viktorianische Cameobrosche.
    »Was macht
er mit ihr? Hat der etwa zwei Penisse? Ach ja, was ist eigentlich mit Mrs P?
Ich dachte, du hättest ihr die Woche freigegeben?«
    »Ja schon,
aber...«
    »Sie
schuftet schon den ganzen Tag in der Küche.«
    »Hätte ich
das Essen etwa selbst kochen sollen? Nachdem, was letztes Mal passiert ist? Ich
will das Mädchen ja nicht vergiften ...«
    »Inzwischen
glaube ich auch, dass du Recht hattest ... Der Topas sieht, glaube ich, neben
dieser chryselephantinen Statuette besser aus, nein, neben der da aus Elfenbein
... Also, ich glaube jetzt auch, dass sie ein bisschen, na ja, du weißt schon
... Hast du auch gehört, wie sie die letzten paar Nächte so komisch geschrien hat... ?«
    »Geschrien?«
    »Na ja,
vielleicht nicht richtig geschrien, aber sie hat nach jemandem gerufen.«
    »Bist du
sicher, dass es nicht die Pfauen waren?« Seit den letzten Parasiten machten
die Pfauen ein Heidenspektakel; der Lärm ließ mir das Blut in den Adern
gefrieren.
    »Nein, es
war Mrs P, hundertprozentig. Jede Nacht so zwischen drei und vier. Man kriegt
richtig Angst. Ich habe sie heute gefragt, ob sie schlecht schläft, aber sie
schien gar nicht zu wissen, wovon ich rede.«
    »Ihren
Kochkünsten merkt man es jedenfalls nicht an.«
    »Aber sie
sollte nicht arbeiten, Charles. Sie ist ziemlich fertig. Hab ich dir schon von
meiner Theorie erzählt? Ich hab da meine eigene Theorie.«
    »Hmmm?«
Ich stieg von der Leiter und ging rückwärts bis ans andere Ende des Esstisches,
um mir das Bild von dort anzuschauen.
    »Ich
glaube, es hat damit zu tun, was im Kosovo passiert ist. Du weißt doch, dass
sie sich im Fernsehen jeden Bericht angeschaut hat. Sie war wie süchtig. Ich
glaube, das hat sie mehr aufgeregt, als sie zugibt.«
    »Mmm.« Mit
zusammengekniffenen Augen schaute ich durch ein Viereck aus Daumen und
Zeigefingern auf die Anrichte. »Ist das nicht schon aus? Die NATO hat doch
gewonnen, oder?« Ich erinnerte mich vage, dass kürzlich die Bauarbeiter
behauptet hatten, die NATO hätte irgendeinen Krieg gewonnen, indem sie ganz
woanders Menschen bombardiert hätte.
    »Vielleicht
ist das eine verspätete Reaktion. Jetzt, wo es vorbei ist, können die Leute aus
dem Kosovo zurück in ihre Häuser. Und das nimmt sie so mit. Weil ihr vielleicht
das Gleiche passiert ist, als nämlich die Serben in Bosnien oder Kroatien, oder
wo immer sie herkommt, eingefallen sind ... Mein Gott, kannst du dir vorstellen,
wie das gewesen muss, Charles, all die unglücklichen Menschen in diesen
armseligen Lagern, die Warterei und die Horrorgeschichten über die, die nicht
fliehen konnten? Kein Wunder, dass sie Albträume hat.«
    »Ab morgen
kann sie sich eine schöne lange Pause gönnen«, sagte ich. Die Schätze schienen
ihr eigenes Licht zu verströmen, ein sehr altes, pulsierendes, flüsterndes
Licht.
    »Ab
übernächster Woche hat sie keine Arbeit mehr«, murmelte Bel und schaute auf
ihre Uhr. »Hast du alles? Ich muss nämlich los.«
    »Ja, alles
da. Und danke, dass du mir geholfen hast.« Hastig trat ich auf sie zu und

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