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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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der
Gesprächspartner ständig aufspringt und aus dem Blickfeld rennt. Andererseits
schien auch alles, was ich zu ihr sagte, während sie ruhig auf ihrem Stuhl saß,
keinerlei Wirkung zu zeitigen. Amüsanteste Anekdoten, die ich mir für
Gelegenheiten wie diese aufgespart hatte, wurden mit der gleichen hartleibigen
Indifferenz hingenommen wie das Essen: »... ich kann mich noch ziemlich gut
daran erinnern, obwohl ich erst fünf oder so war, aber am Morgen ihres
Todestages ist Vater mit aschfahlem Gesicht aus ihrem Zimmer gekommen. Er hat
furchtbar ausgesehen. Er hat kein Wort gesagt, sondern mir nur einen kleinen
Rasierspiegel in die Hand gedrückt. Großmutter hatte sich ihn extra von der
Krankenschwester bringen lassen, damit sie ihn über meinen Vater an mich
weitergeben konnte. Obwohl die Ärzte gesagt hatten, dass sie niemanden mehr
erkennen würde...«
    »Warum
hatte deine Großmutter einen Rasierspiegel?«
    »Nun,
eigentlich hat er Großvater gehört. Aber ich glaube, das habe ich dir gerade
erzählt, wenn du dich vielleicht kurz, eine Minute oder so, zurückerinnern
möchtest...«
    »Ah,
richtig«, sagte sie mit vollem Mund. »Und? Ist sie wieder gesund geworden?«
    »Nein, wie
ich gerade gesagt habe, das war an ihrem Todestag...«
    »Ah,
richtig.«
    Und dann
die schreckliche Stille, bis ich eine neue Anekdote in Gang gebracht hatte,
eine folgte der andern, wie Schweine, die man den Klippen zutreibt, um sie in
die Schwindel erregende blaue Leere zu stürzen.
    »Warum
reden wir nicht über dich?«, sagte ich schließlich. Wenn die Menschen über sich
selbst reden, lassen sie sich nicht so leicht ablenken.
    Ein
desaströser Fehler.
    »Ich war
in der Holy Child School«, sagte sie. »Aber das weißt du ja von Bel. Es war
fantastisch, ich hab irre viel Spaß gehabt. So dieses auf Bohemien und so, wie Bel,
da hatte ich nicht viel mit am Hut, obwohl, gefallen hätte mir das schon, so in
Cafés rumsitzen, den ganzen Tag rauchen und auf Künstler machen, aber ich bin
wohl von Natur aus der praktische Typ. Meine Zukunft war mir immer sehr
wichtig. Jeder muss sich doch drum kümmern, dass er mal einen guten Job kriegt,
oder?«
    »Absolut«,
sagte ich. »Meine Rede.«
    »Danach
bin ich dann aufs Smorfett Institute, Schwerpunkt Handel und Technologie...«
    »Ist das
da, wo sie diese Tierversuche mit Affen machen?«, fragte ich dazwischen.
    »Nein«,
sagte sie. »Das ist eins der europaweit führenden Zentren für IT-Lösungen.«
    Ich
verstand nicht ganz, was das war, außer dass es mit Computern zu tun hatte und
jede Menge »Karrierechancen« nach sich zog. Aber was es auch war, nach dem
Examen beschloss sie, etwas zu machen, das mehr »auf Menschen fokussiert« war.
»Ich mag Menschen«, sagte sie.
    »Wer
nicht?«, sagte ich.
    Und so,
fuhr sie fort, habe sie sich instinktiv zur High-Speed-Welt des
Versicherungswesens hingezogen gefühlt.
    »Entschuldige
mich bitte einen Moment«, sagte ich. Ich hatte plötzlich einen ziemlich
trockenen Hals, ging in die Küche und nahm eine frische Flasche Fetzer aus dem
Kühlschrank. Wahrscheinlich stand ich länger da, als mir bewusst war, denn Mrs
P fragte mich, ob ich mich nicht wohl fühlte.
    »Das Essen
ist okay, Master Charles? Alles in Ordnung?«
    »Was? Ja,
ja, alles bestens. Bravissimo, Mrs P. Superb, wirklich.«
    »Sie sehen
müde aus.«
    »Ich?
Nicht im Geringsten, ich bin topfit.«
    »Aber Sie
reiben sich Augen...«
    »Kleines
Päuschen, nichts weiter ... Ach, Mrs P, haben Sie schon jemals davon gehört,
dass jemandem eine Auster im Hals stecken geblieben ist?«
    »Eine
Auster?« Sie dachte nach. »Nein, Master Charles, ich glaube, das geht nicht.«
    »Ganz
meine Meinung. Na ja, war nur eine Frage. Also dann, noch
einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde...« Ich nahm
die Flasche Wein, ging zurück ins Speisezimmer und setzte mich. Laura lächelte
und fing an, mir von der Beziehung zu erzählen, die sie während dieser
aufregenden Phase ihres Lebens gehabt hatte. Es war ziemlich ernst gewesen;
tatsächlich hatten sie sich fast fünf Jahre lang regelmäßig getroffen.
    »Fünf Jahre?«
    Sein Name
war Todd. Er leitete eine Großtankstelle in der Bray Road. »Das ist richtig gut
gelaufen«, sagte sie. »Da ist echt Geld zu machen mit diesen Tankstellenshops,
und er führte schon Verhandlungen für eine zweite Tankstelle in Deansgrange.
Aber wir hatten eben verschiedene Vorstellungen.« Ihre Wege hatten sich vor
sechs Monaten getrennt, als Todd sich entschloss, den Job

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