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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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ich Recht, Francy?«
    Frank war
ein undeutlicher Schatten am Fuß des Turms. Er unterbrach, was er gerade tat,
und rief: »Was?«
    »Wie läuft's
mit der Bombe?«
    Frank
beugte den Kopf nach unten. »Noch gut zwei Minuten«, brüllte er. »Passt auf,
dass ihr nicht zu nah an den Fenstern seid.«
    »O Gott,
er wird sterben!« Das Mädchen fuhr sich mit schlanken weißen Fingern von oben
nach unten über das Gesicht.
    »Ach was.
Der Junge war bei der UN. Der hat das schon tausendmal gemacht.« Er legte
wieder die Hand an den Mund. »Hab ich Recht, Francy?«
    »Was?«
Frank unterbrach wieder seine Arbeit und drehte den Kopf in unsere Richtung.
    »Ich hab
grad zu Charlie gesagt, dass du das schon tausendmal gemacht hast.«
    »Entschärf
einfach die Bombe«, schrie ich.
    »Ist wie
Fahrrad fahren, hab ich Recht, Francy? Wenn man's einmal gelernt hat, kann
man's immer.«
    Frank
schien darüber nachzudenken. Zwischen seinen Zähnen steckte etwas, das wie ein
Stück Draht aussah.
    »Ist
eigentlich so, wie wenn man einen BH aufmacht«, rief er. »Man weiß, wie's geht,
und man hat's schon tausendmal gemacht, aber wenn dann die Alte hinten im
Wagen vor dir liegt, dann...«
    »Herrgott, MacGillycuddy, hören
Sie auf, ihn abzulenken!«
    »Runter, Charles!« Das Mädchen
packte mein Bein und zerrte daran.
    MacGillycuddy schaute auf seine
Uhr. »Schätze, noch acht Sekunden«, sagte er. »Fünf ... vier...« Wir warfen uns
auf den Boden. Eine Wolke schob sich vor den Mond. »Bingo«, rief Frank. »Na
also«, sagte MacGillycuddy. Langsam standen wir wieder auf. Der Turm stand
unversehrt da.
    Das
Mädchen und ich schauten uns an. Wir fingen an zu lachen, wie Idioten,
glücklich. Auch Frank lachte. Er stand auf und ging auf uns zu. Hinter uns im
Haus gingen geräuschlos die Lampen wieder an. Licht überflutete den Rasen und
tauchte nach Stunden der Dunkelheit alles in einen ekstatischen, disneymäßigen
Glanz. Wir standen auf dem Rasen, lachten und klopften Frank auf die Schulter.
»Du hast es gepackt!«, sagte MacGillycuddy.
    »Kostet dich 'n Bier«, sagte
Frank. Er lächelte, und man konnte seine schiefen Zähne sehen. Und obwohl mir
irgendwas an dem Wortwechsel komisch vorkam, dachte ich nicht weiter drüber nach
und fiel in die Gratulationscour ein. Dann marschierten wir wie siegreiche
Soldaten nach einem langen und blutigen Krieg zurück zum Haus. Am Fenster im
Salon standen Mrs P und Bel. Meine Schwester sah übernächtigt und blass aus.
Unsere Blicke begegneten sich. Als ich gerade das V-Zeichen machen wollte,
schaute sie weg. Egal, sagte ich mir, obwohl absolut nichts an diesem Abend
nach Plan gelaufen war, schien sich doch alles zum Besten gewendet zu haben.
Der Turm stand noch - was sicher bedeutete, dass auch wir die Oberhand behalten
würden, nicht nur über die gegen uns in Stellung gebrachten Mächte, sondern
auch über unsere eigenen fehlgeleiteten Wünsche, unsere eigenen besten
Absichten. Ob ihr das passte oder nicht, Bel war Teil dieser Familie. Wohin auch
immer das Leben uns verschlagen würde, auf Dauer konnte ich nicht ohne sie.
    Das waren
meine Gedanken, als Frank direkt vor meiner Nase stehen blieb und nach oben zum
Himmel deutete. »Schau dir bloß diesen komischen Vogel an«, sagte er abwesend.
    »Ja, ja«,
sagte ich und folgte mit zusammengekniffenen Augen seinem Flug. Doch bevor ich
ihm noch sagen konnte, dass das da oben, wenn ich es mir recht überlegte,
weniger wie ein Vogel denn wie ein Felsbrocken oder so was aussah, brach schon
ein ohrenbetäubender Lärm über uns herein, und ich schaffte es gerade noch,
mich umzudrehen und zu erkennen, dass aus irgendeinem Grund der Turm nicht mehr
da stand, wo er vorher gestanden hatte...
     
    Fünf
     
    DAS ERSTE, WAS MICH TRAF - das
Erste nach jenem fliegenden Stück Mauerwerk -, war die Erkenntnis, dass mein
Plan geklappt hatte. Eine Zeit lang nach der Explosion des Turms stand ich
nämlich unter dem Eindruck, dass ich tatsächlich in einer bezaubernden
historischen Hazienda in Chile residierte - und zwar zusammen mit dem Dichter
und Nobelpreisträger W. B. Yeats. Es klingt unwahrscheinlich, wenn ich das so
sage, ich weiß, aber so sind Träume, solange man sie träumt, weiß man nicht,
dass es Träume sind. Außerdem fühlten wir uns, Yeats und ich, ziemlich wohl
dort - warum also dran rühren? Wir lebten auf der windgeschützten Seite der
Anden, an einer Flanke des Casablanca-Tales. Im Osten lag Santiago, im Westen
der Pazifische Ozean, dessen blassblaue Linie

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